BFH: Umorientierung während einer mehraktigen einheitlichen Erstausbildung

 

Nimmt ein volljähriges Kind nach Erlangung eines ersten Abschlusses in einem öffentlich-rechtlich geordneten Ausbildungsgang eine nicht unter § 32 Abs. 4 Satz 3 EStG fallende Berufstätigkeit auf, erfordert § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG, zwischen einer mehraktigen einheitlichen Erstausbildung mit daneben ausgeübter Erwerbstätigkeit und einer berufsbegleitend durchgeführten Weiterbildung (Zweitausbildung) abzugrenzen. Zwei zeitlich und inhaltlich zusammenhängende Ausbildungsabschnitte können auch dann zu einer einheitlichen Erstausbildung zusammengefasst werden, wenn das Kind sich nach dem Ende des ersten Ausbildungsabschnitts umorientiert und seine Ausbildung anders als ursprünglich geplant fortsetzt. Das hat der BFH mit Urteil vom 23.10.2019 – III R 14/18 entschieden.

Sachverhalt:

Der Kläger ist Vater eines Sohnes, der nach dem Abitur eine Ausbildung bei einer Volksbank absolvierte, die im Januar 2015 endete. Dem Kläger wurde von der Familienkasse Kindergeld bis Januar 2015 gewährt.

Nach Abschluss der Ausbildung wurde der Sohn als Vollzeitbeschäftigter mit einer Arbeitszeit von 39 Stunden übernommen, hatte sich jedoch auch über ein Studium am Bankkolleg des Genossenschaftsverbandes mit dem Ziel des Abschlusses als Bankfachwirt informiert. Der Start des Studiengangs verzögerte sich jedoch auf unbestimmte Zeit, so dass der Sohn zum Wintersemester 2015/2016 ein Onlinestudium der Fachrichtung Betriebswirtschaftslehre an einer Hochschule auf.

Im August 2017 beantragte der Kläger mit Hinweis auf das aufgenommene Studium erneut Kindergeld. Die Familienkasse lehnte den Antrag ab und wies den dagegen gerichteten Einspruch als unbegründet zurück. Auch die Klage beim FG blieb ohne Erfolg.

Entscheidung des BFH:

Die Revision ist zulässig und begründet und führt zur Aufhebung des FG-Urteils und zur Zurückverweisung der Sache.

Mehrere Ausbildungsabschnitte können eine einheitliche Erstausbildung bilden, wenn sie zeitlich und inhaltlich so aufeinander abgestimmt sind, dass die Ausbildung nach Erreichen des ersten Abschlusses fortgesetzt werden soll und das vom Kind angestrebte Berufsziel erst über den weiterführenden Abschluss erreicht werden kann. In einem solchen Fall muss aufgrund objektiver Beweisanzeichen erkennbar sein, dass das Kind die für sein angestrebtes Berufsziel erforderliche Ausbildung nicht bereits mit dem ersten erlangten Abschluss beendet hat. Dabei ist darauf abzustellen, ob sich die einzelnen Ausbildungsabschnitte als integrative Teile einer einheitlichen Ausbildung darstellen. Insoweit kommt es vor allem darauf an, ob die Ausbildungsabschnitte in einem engen sachlichen Zusammenhang zueinander stehen (z.B. dieselbe Berufssparte, derselbe fachliche Bereich) und in engem zeitlichen Zusammenhang durchgeführt werden.

Der erforderliche enge zeitliche Zusammenhang zwischen der Banklehre und dem Betriebswirtschaftsstudium liegt vor. Der zeitliche Zusammenhang wird nicht dadurch ausgeschlossen, dass S sich, nachdem die Bankausbildung im Januar 2015 beendet war, erst im April 2015 zum Studium der Betriebswirtschaftslehre entschlossen hat.

Der erforderliche enge sachliche Zusammenhang liegt ebenfalls zwischen der Ausbildung zum Bankkaufmann und dem Betriebswirtschaftsstudium vor. Entgegen der Ansicht des FG führt die Umorientierung des Kindes (Betriebswirtschaftsstudium statt Bankkolleg) nicht zu der Annahme einer mehraktigen Ausbildung. Wird der sachliche Zusammenhang gewahrt, so ist eine Umorientierung unschädlich.

In den Rz. 21ff. des Urteils präzisiert der BFH diese Rechtsprechungsgrundsätze für Fälle, in denen die einheitliche Erstausbildung mit einer daneben ausgeübten Erwerbstätigkeit von einer berufsbegleitend durchgeführten Weiterbildung (Zweitausbildung) abzugrenzen ist.

Der Senat konnte auf der Grundlage der vom FG bisher getroffenen Feststellungen nicht entscheiden, ob die von S ausgeübte Erwerbstätigkeit in der Bank der Annahme einer Ausbildungseinheit zwischen der Banklehre und dem Studium entgegensteht. Das FG wird daher nach Maßgabe der vorgenannten Rechtsgrundsätze im zweiten Rechtsgang insbesondere zu prüfen haben, ob das Studium eher dem Beschäftigungsverhältnis untergeordnet war oder umgekehrt das Beschäftigungsverhältnis dem Studium.

 

BFH-Urt. v. 23.10.2019 – III R 14/18 >>

 

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Stand: 5.3.2020