Lange „marschierten“ der Deutsche Steuerberaterverband e.V. (DStV) und die Bundessteuerberaterkammer (BStBK) in Brüssel getrennt. Der Beschluss beider Organisationen, ein gemeinsames Büro mitten in der „Herzkammer Europas“ zu eröffnen, erhöht die Schlagkraft der berufsständischen Interessenvertretung. Jetzt gilt es, die Kooperation mit Leben zu füllen. Anfang November fand die Premiere statt: Erstmals betraten beide Organisationen gemeinsam das europäische Parkett.
Wenn zwei sich streiten, freut sich die EU-Kommission.“ Zumindest ein Fünkchen Wahrheit steckt bei selbstkritischer Betrachtung in dieser Abwandlung eines bekannten Sprichworts. Nicht erst seit der vergangenen Legislaturperiode haben die Brüsseler Marktliberalisierungskräfte das nationale Berufsrecht im Visier. Insbesondere im Dienstleistungsbereich, so der Blick der EU-Beamten, stecke noch großes Wachstumspotential. Aus Sicht eines Berufsverbands ist es dabei höchstes Gebot, diese Diskussionen vor Ort in Brüssel möglichst frühzeitig und engmaschig zu begleiten. Bereits jetzt gibt es Herausforderungen zur Genüge. So ist z.B. das Vertragsverletzungsverfahren zu den Vorbehaltsaufgaben im Steuerberatungsgesetz (StBerG) im vollen Gange. Aber auch große Teile des Dienstleistungspakets, derzeit in die Schreibtischschubladen der zuständigen Generaldirektion GROW verbannt, können jederzeit wieder die Tagesordnungen der EU-Institutionen füllen.
Das Ergebnis der Europawahl hat unsere Aufgabe in Brüssel jedenfalls nicht erleichtert. Im EU-Parlament verfügt selbst eine „Große Koalition“ aus Europäischer Volkspartei (EVP) und Sozialdemokraten (S&D) über keine Mehrheit und wäre auf die Unterstützung anderer Fraktionen angewiesen. Aber auch in der zweiten Gesetzgebungskammer, dem Ministerrat, sind die Interessenskonstellationen wechselhaft. Im Konzert der (noch) 28 spielt Deutschland trotz seiner großen Wirtschaftskraft nicht automatisch die erste Geige. Längst haben sich informelle Ländergruppen gebildet, die durchaus in der Lage sind, ad hoc Koalitionen auch gegen Deutschland zu bilden. Zuletzt deutlich geworden sind diese realen Machtverhältnisse bei der Ratsabstimmung zur Whistleblower-Richtlinie. Waren im ursprünglichen Entwurf der EU-Kommission noch Steuerberater und Wirtschaftsprüfer neben Rechtsanwälten und Ärzten vom Anwendungsbereich ausgenommen, wurde dieser Teil der Richtlinie in den zuständigen Ratsarbeitsgruppen verändert. Der Widerstand der Bundesregierung wurde dabei einfach überstimmt.
Diese Entwicklungen verdeutlichen, dass die alleinige Konzentration auf die „Berliner Republik“ schon lange nicht mehr ausreicht. Der Beschluss von BStBK und DStV, die Kräfte in Europa zu bündeln und zukünftig mit einem gemeinsamen Büro unter der Flagge „German Tax Advisers“ präsent zu sein, wird den Druck auf die EU-Kommission für eine ausgewogenere Binnenmarktpolitik erhöhen. Dabei ist es unsere Aufgabe, die steuerberatenden und wirtschaftsprüfenden Berufe als Partner und Dienstleister für die mittelständische Wirtschaft herauszustellen. Letztlich wird es darum gehen, auf europäischer Ebene ein Bewusstsein für den Wert hochqualifizierter Steuerberatung zu schaffen.
In dieser Legislaturperiode sind über 58% der Abgeordneten neu ins EU-Parlament eingezogen – so viele wie nie zuvor. Auch innerhalb der deutschen Fraktionsgruppen findet man mehr neue, teilweise deutlich jüngere Gesichter. Umso wichtiger ist es, unsere europapolitischen Fragestellungen den Abgeordneten möglichst frühzeitig vorzustellen. Zu diesem Zweck haben wir gemeinsam mit unserem Partner BStBK die für uns wichtigsten Ansprechpartner identifiziert und auf vier erste Gesprächsrunden aufgeteilt. Für den DStV nahmen der Präsident StB/WP Harald Elster bzw. der Vizepräsident StB Torsten Lüth an den Terminen im EU-Parlament teil. In diesem Rahmen kam es am 5.11.2019 zu Gesprächen mit zwei Mitgliedern des Binnenmarktausschusses, Svenja Hahn (FDP, Renew Europe) und Alexandra Geese (Grüne, EFA), sowie Christian Doleschal (CSU, EVP), stellv. Mitglied im für Steuerfragen zuständigen Wirtschafts- und Währungsausschuss und Dr. Sergey Lagodinsky (Grüne, EFA), stellv. Vorsitzender des Rechtsausschuss. In der zweiten Runde, nur eine Woche später, konnten wir im Austausch mit der Vizepräsidentin des EU-Parlaments, Nicola Beer (FDP, Renew Europe), Dr. Stefan Berger (CDU, EVP), Mitglied im Wirtschafts- und Währungsausschuss und dem EVP Koordinator im Rechtsausschuss, Axel Voss (CDU, EVP) für unsere europapolitischen Themen sensibilisieren. Nächster Anlass für weitere Treffen des DStV Präsidenten und Vizepräsidenten bietet die geplante Eröffnung unseres „German Tax Advisers“ Büros Anfang Februar.
Stand: 10.12.2019