SG Stuttgart: Beurteilung der Selbstständigkeit einer Steuerberaterin
Das Sozialgericht Stuttgart hat am 16.01.2020 entschieden, dass eine Steuerberaterin dann eine selbstständige Tätigkeit ausübt, wenn sie nach dem zugrundeliegenden Beratervertrag weisungsfrei und eigenverantwortlich Mandate übernimmt, nicht in den Betrieb der Steuerkanzlei eingegliedert ist und keinen festen Stundenlohn erhält, sondern eine reine Umsatzbeteiligung. Das Urteil mit dem Aktenzeichen S 24 BA 6242/18 wurde am 04.08.2020 veröffentlicht und ist mittlerweile rechtskräftig.
Sachverhalt:
Zwischen der DRV und der klagenden Steuerberaterin stand in einem Verfahren nach § 7a SGB IV der sozialversicherungsrechtliche Status der Klägerin bzgl. ihrer Tätigkeit als Steuerberaterin bei der im Ver-fahren beigeladenen Steuerkanzlei im Streit. Das SG Stuttgart hat entschieden, dass die Klägerin im vorliegenden Falle selbstständig tätig war.
Entscheidungsgründe:
Die allgemeinen Abgrenzungsmaßstäbe zwischen abhängiger und selbstständiger Tätigkeit gelten auch für die sozialversicherungsrechtliche Beurteilung der Tätigkeit als Steuerberater, und zwar auch unbeschadet dessen, dass der Steuerberater ein unabhängiges Organ der Steuerrechtspflege und Angehöriger eines freien Berufes ist. Die Tätigkeit des Steuerberaters kann also grundsätzlich sowohl in selbstständiger Form (vgl. § 32 StBerG) als auch im Rahmen einer abhängigen Beschäftigung ausgeübt werden (vgl. § 58StBerG).
Das Sozialgericht kam vorliegend zu dem Ergebnis, dass ein Weisungsrecht der beigeladenen Steuerberatungskanzlei gegenüber der klagenden Steuerberaterin nach dem zugrundeliegenden „Beratervertrag“ ausgeschlossen war; eine einseitige Zuweisung von Mandanten erfolgte nicht. Die Klägerin war bei Übernahme eines Auftrags die direkte Ansprechpartnerin der Mandanten und bearbeitete den Fall bis zum Erstellen der Steuererklärung eigenverantwortlich und ohne zeitliche Vorgabe. In den Betrieb der Steuerberatungskanzlei war sie nicht eingegliedert, sondern hielt sich in deren Kanzleiräumen allenfalls zur Abholung neuer oder Abgabe von erledigten Aufträgen auf. Die Arbeit erledigte sie zumeist in ihrem mit EDV, Rechenmaschine, Fachliteratur und Telefon ausgestatteten eigenen Büro. Da die Klägerin aus-schließlich mit 60 % am erzielten Umsatz beteiligt wurde, war auch die Vergütung nicht arbeitnehmertypisch, sondern beinhaltete sowohl das Risiko der Klägerin, einen Vergütungsausfall zu erleiden, als auch die Chance, durch effizientes und schnelles Arbeiten sowie Annahme vieler Aufträge die Vergütung zu maximieren.
Praxishinweis:
Das Urteil ist rechtskräftig, es ist daher damit zu rechnen, dass die Kernaussagen des Urteils in Zukunft weitergehend Beachtung finden werden. Das Sozialgericht hat in seiner Entscheidung eine Selbstständigkeit der klagenden Steuerberaterin aufgrund des fehlenden Weisungsrechts der Steuerberatungskanzlei und der fehlenden Eingliederung in die Abläufe der Steuerberatungskanzlei festgestellt. Beschäftigung iSd. § 7 Abs. 1 SGB IV hingegen meint gerade die nichtselbstständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Anhaltspunkte für eine Beschäftigung sind jedoch eine Tätigkeit nach Weisung und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers.
Nicht selten besteht bei den Beteiligten Unsicherheit, ob eine vereinbarte Tätigkeit selbstständig oder scheinselbstständig, d. h. im Rahmen einer Beschäftigung mit der Folge der Sozialversicherungs- und Beitragspflicht erbracht wird. Mit dem Statusfeststellungsverfahren sollte nach dem Gesetzgeber eine schnelle und unkomplizierte Möglichkeit zur Klärung der Statusfrage geschaffen werden. Zuständig ist die Clearingstelle bei der DRV Bund in Berlin (§ 7a Abs. 1 S. 3 SGB IV). Im Jahr 2017 wurde von 22.263 optional durchgeführten Statusfeststellungsverfahren nach § 7a Abs. 1 S. 1 SGB IV ein Anteil von 57,8 % mit dem Ergebnis der selbstständigen Tätigkeit beendet. Rund ein Viertel der Klagen wird ganz oder teilweise zu Gunsten des Klägers entschieden. Soll also ein Steuerberater auf selbstständiger Basis in einer Steuerkanzlei mitarbeiten, sollte dieses Verfahren immer schnellstmöglich zu Beginn der Tätigkeit durch-geführt werden, um Klarheit zu haben.
Darüber hinaus ist aber auch und gerade bei erfolgreichem Statusfeststellungsverfahren die dauerhafte Beweisvorsorge im konkreten laufenden Vertragsverhältnis dringend zu empfehlen. Der Vertrag zwischen Auftraggeber (Steuerkanzlei) und Auftragnehmer (Steuerberater) sollte ohnehin schriftlich ab-geschlossen und muss auch wie vertraglich vereinbart tatsächlich durchgeführt werden. Es ist wichtig über den gesamten Zeitraum des Vertragsverhältnisses nachweisen zu können, dass zB. keine Eingliederung in den Betrieb der Steuerkanzlei stattgefunden hat und dass der Auftragnehmer weisungsunabhängig gearbeitet hat. Im Falle der Prüfung kann so ein möglicherweise von der DRV unterstelltes Ver-schulden des Auftraggebers verhindert werden.
Sozialversicherungsrechtlich haftet der von der DRV nach einer Prüfung identifizierte Arbeitgeber eines Scheinselbstständigen für den gesamten Sozialversicherungsbeitrag (AN- und AG-Beiträge) aller Meldezeiträume, soweit keine Verjährung eingetreten ist. Aufgrund von gesetzlichen Schutzvorschriften für Beschäftigte kann der Arbeitgeber die Versichertenanteile nur für die letzten drei abgerechneten Entgeltabrechnungszeiträume nachträglich einbehalten. Darüber hinaus, ist der nachträgliche Einbehalt nur in sehr eng begrenztem Rahmen und nur ohne Verschulden des Arbeitgebers möglich. Ein bloßes Ver-sehen reicht dazu nicht aus.
Die Konsequenzen sind jedoch nicht nur rein monetär. Im Strafrecht kommt der Beurteilung einer Tätigkeit als Beschäftigung Bedeutung bei der Verwirklichung des Straftatbestandes des § 266a StGB zu. Strafbar macht sich, wer als Arbeitgeber der Einzugsstelle Beiträge zur Sozialversicherung einschließlich der Arbeitsförderung vorenthält. Strafverfahren werden dabei unabhängig von sozialgerichtlichen Verfahren geführt.
Für das Arbeitsrecht stellt sich die Frage nach der Abgrenzung zur selbstständigen Tätigkeit bei der Bestimmung, ob ein Arbeitsvertrag nach § 611a Abs. 1 BGB vorliegt. Dies hat beispielsweise rückwirkend Auswirkungen auf die Kündigungsrechte, den Vergütungsanspruch sowie etwaiger Rückforderungsansprüche wegen überzahlter Honorare. Daneben ist die Abgrenzung ebenso relevant für die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, die Zahlung von Mutterschaftsgeld oder den Anspruch auf Urlaub.
Zusammenfassend muss Konsequenz aus dem Urteil des SG Stuttgart sein, dass auch Steuerberatungskanzleien auf die Durchführung von Statusfeststellungsverfahren bei selbstständig mitarbeitenden Steuerberatern dringen sollten, um Rechtssicherheit für alle Beteiligten zu erzeugen. Dass die Chancen für eine Selbstständigkeit bei Beachtung der maßgeblichen Abgrenzungskriterien nicht schlecht stehen, zeigt das Urteil anschaulich.
Autoren: RA/FAStR Daniel Dinkgraeve, LL.M./EMBA und RA Maximilian Krämer, beide Dinkgraeve Rechtsanwälte PartG mbB, München
Stand: 17.08.2020