Es bestehen keine verfassungsrechtlichen Zweifel an der typisierten Ermittlung der nicht abzugsfähigen Schuldzinsen mit 6 % der Überentnahmen.
Die gesetzliche Typisierung dient einem Vereinfachungszweck, welcher die in der Abkehr vom Individualmaßstab liegende Gleichbehandlung von Ungleichem (namentlich infolge der je nach genauem Entnahmezeitpunkt verschiedenen Finanzierungslaufzeit) vor Art. 3 Abs. 1 GG rechtfertigt.
FG Düsseldorf v. 1.12.2022 – 15 K 1131/19 G,F, EFG 2023, 817 (Rev. eingelegt, Az. des BFH: IV R 2/23)
Grundsätzliches
Als Reaktion auf die Rspr. zum sog. Zwei- und Mehrkontenmodell[1] hat der Gesetzgeber den betrieblichen Schuldzinsenabzug durch § 4 Abs. 4a EStG für Wirtschaftsjahre, die nach dem 31. Dezember 1998 enden, eingeschränkt.[2] Betrieblich veranlasste Schuldzinsen sind danach nicht abziehbar, soweit sie auf Überentnahmen entfallen.[3] Sinngemäß gilt dies für den Fall der Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG, wobei Entnahmen und Einlagen gesondert aufzuzeichnen sind.[4]
Das Gesetz unterstellt bei Vorliegen von Überentnahmen nach § 4 Abs. 4a EStG eine private Veranlassung und stuft infolgedessen die Zinsen als nicht abziehbar ein.[5] Die Regelung orientiert sich an der Kapitalentwicklung, so dass sich die Schuldzinsenabzugseinschränkung dann ergibt, wenn und soweit die Entnahmen die Summe von Gewinn und Einlagen in diesem Wirtschaftsjahr[6] und in den Vorjahren (periodenübergreifende Betrachtung) übersteigen. [7]
Der sachliche Anwendungsbereich von § 4 Abs. 4a EStG erstreckt sich ausschließlich auf Gewinneinkünfte, unabhängig von der Gewinnermittlungsart. Für Überschusseinkünfte gilt § 4 Abs. 4a EStG mangels Verweises in § 9 Abs. 5 EStG nicht.
Praxishinweis
Bei den Überschusseinkünften besteht durch Anwendung des Zwei- oder Mehrkontenmodells weiterhin die Möglichkeit, Aufwendungen in den Einkünftebereich zu verlagern, ohne dass durch Vorliegen von Überentnahmen nicht abziehbare Schuldzinsen ausgelöst werden. Für die Gestaltungsberatung ist dies von Bedeutung.
Beispiel
A erzielt Einkünfte aus VuV. Auf dem Konto 1 gehen die gesamten Einnahmen ein und über das Konto 2 werden die gesamten Ausgaben (= Werbungskosten) geleistet. Von dem Einnahmekonto entnimmt A Beträge, die für seine Lebensführung gedacht sind. Das Konto 1 weist trotz der Entnahmen keinen negativen Saldo aus. Durch den Negativsaldo des Kontos 2 entstehen Schuldzinsen.
Die Schuldzinsen des Ausgabenkontos sind als Werbungskosten bei den Einkünften aus VuV abziehbar. Überentnahmen sind nicht zu ermitteln, weil § 4 Abs. 4a EStG bei Überschusseinkünften nicht zur Anwendung kommt.
Ermittlung der Überentnahmen
Gem. § 4 Abs. 4a EStG sind betrieblich veranlasste Schuldzinsen nicht abziehbar, wenn Überentnahmen getätigt wurden.
Eine Überentnahme ist der Betrag, um den die Entnahmen die Summe des Gewinns und der Einlagen des Wirtschaftsjahres übersteigen. Die nicht abziehbaren Schuldzinsen werden typisiert mit 6 % der Überentnahme des Wirtschaftsjahres zzgl. der Überentnahmen vorangegangener Wirtschaftsjahre und abzgl. der Beträge, um die in den vorangegangenen Wirtschaftsjahren der Gewinn und die Einlagen die Entnahmen überstiegen haben (Unterentnahmen), ermittelt; bei der Ermittlung der Überentnahme ist vom Gewinn ohne Berücksichtigung der nach Maßgabe dieser Regelung nicht abziehbaren Schuldzinsen auszugehen. Der sich dabei ergebende Betrag, höchstens jedoch der um 2.050 EUR verminderte Betrag der im Wirtschaftsjahr angefallenen Schuldzinsen, ist dem Gewinn hinzuzurechnen.[8]
Der Abzug von Schuldzinsen für Darlehen zur Finanzierung von Anschaffungs- oder Herstellungskosten von WG des AV (sog. Investitionszinsen) bleibt unberührt.
Typisierende Ermittlung der nicht abziehbaren Schuldzinsen mit 6 % verfassungsgemäß?
Die nicht abziehbaren Schuldzinsen werden typisierend mit 6 % der Überentnahmen ermittelt.[9] Gegenwärtig ist beim BFH ein weiteres Musterverfahren zur Frage anhängig, ob diese typisierende Berechnung der nicht abziehbaren Schuldzinsen angesichts des strukturellen Niedrigzinsniveaus gegen den allgemeinen Gleichheitssatz und das Übermaßverbot verstößt.[10]
Praxishinweis
In den bisherigen Vorläufigkeitsvermerken wird das vorgenannte Musterverfahren nicht genannt. Im Hinblick auf den offenen Verfahrensausgang sollten die Fälle, in denen sich auf Grundlage der 6 %-Regelung nicht abziehbare Schuldzinsen nach § 4 Abs. 4a EStG ergeben, verfahrensrechtlich offen gehalten werden. Durch Einspruchseinlegung und Hinweis auf eines der beim BFH anhängigen Musterverfahren ruht das Verfahren kraft Gesetzes.[11]
[1] BFH-Beschl. v. 8.12.1997 – GrS 1-2/95, BStBl II 1998, 193
[2] § 52 Abs. 6 S. 5 EStG
[3] § 4 Abs. 4a S. 1 EStG
[4] § 4 Abs. 4a S. 6 EStG
[5] BFH-Urt. v. 21.9.2005 – X R 47/03, BStBl II 2006, 504
[6] § 4 Abs. 4a S. 1 und 2 EStG
[7] § 4 Abs. 4a S. 3 EStG
[8] § 4 Abs. 4a S. 1-4 EStG
[9] § 4 Abs. 4a S. 3 EStG
[10] FG Düsseldorf v. 1.12.2022 – 15 K 1131/19 G,F (Rev. zugelassen); FG Düsseldorf, Urt. v. 31.5.2019 – 15 K 1131/19 G,F, EFG 2019, 1752, Rev. eingelegt, Az des BFH: IV R 19/19
[11] § 363 Abs. 2 S. 2 AO