Tantieme und Zuflusszeitpunkt

Der BFH[1] hat entschieden, dass eine verspätete Feststellung des Jahresabschlusses nach § 42a Abs. 2 GmbHG auch im Falle eines beherrschenden Gesellschafter-Geschäftsführers nicht per se zu einer Vorverlegung des Zuflusses einer Tantieme auf den Zeitpunkt führt, zu dem die Fälligkeit bei fristgerechter Aufstellung des Jahresabschlusses eingetreten wäre.

Praxishinweis

Diese Entscheidung ist für den Zeitpunkt der Anwendung des Lohnsteuerabzugsverfahrens bedeutsam.

 

Grundsätzliches

Abweichend von § 11 EStG gilt für die Erfassung von Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit § 38a Abs. 1 Satz 2 und 3 EStG.[2]

Hierbei ist zwischen laufendem Arbeitslohn und sonstigen Bezügen zu unterscheiden.

Laufender Arbeitslohn gilt in dem Kalenderjahr als bezogen, in dem der Lohnzahlungszeitraum endet.[3]

Arbeitslohn, der nicht als laufender Arbeitslohn gezahlt wird (sonstige Bezüge), wird in dem Kalenderjahr bezogen, in dem er dem Arbeitnehmer zufließt.[4]

Praxishinweis

Die Unterscheidung zwischen laufendem Arbeitslohn und sonstigen Bezügen ist wegen der zeitlichen Zuordnung zum jeweiligen Lohnzahlungszeitraum bedeutsam.

 

Laufender Arbeitslohn

Laufender Arbeitslohn ist der Arbeitslohn, der dem Arbeitnehmer regelmäßig fortlaufend zufließt, insbesondere:

  • Monatsgehälter,
  • Wochen und Tagelöhne,
  • Mehrarbeitsvergütungen,
  • Zuschläge und Zulagen,
  • geldwerte Vorteile aus der ständigen Überlassung von Dienstwagen zur privaten Nutzung,
  • Nachzahlungen und Vorauszahlungen, wenn sich diese ausschließlich auf Lohnzahlungszeiträume beziehen, die im Kalenderjahr der Zahlung enden,
  • Arbeitslohn für Lohnzahlungszeiträume des abgelaufenen Kalenderjahres, der innerhalb der ersten drei Wochen des nachfolgenden Kalenderjahres zufließt.

Praxishinweis

  • 38a Abs. 1 Satz 2 EStG bestimmt den Lohnzahlungszeitraum, in dem der laufende Arbeitslohn als bezogen gilt. Diese Rechtsvorschrift fingiert jedoch keinen Arbeitslohn. Die Frage, in welchem Lohnzahlungszeitraum der laufende Arbeitslohn zu erfassen ist, stellt sich nur dann, wenn dem ArbN der laufende Arbeitslohn auch tatsächlich zufließt.[5] Auch nur dann ist vom Arbeitgeber ein Lohnsteuer-Abzug vorzunehmen.[6] Alleine das Innehaben von Ansprüchen oder Rechten löst gegenwärtig keinen Zufluss von Arbeitslohn aus.[7]

Arbeitslohn fließt mit Erlangung der wirtschaftlichen Verfügungsmacht zu; dies ist i.d.R. der Zeitpunkt des Eintritts des Leistungserfolgs oder der Möglichkeit, den Leistungserfolg herbeizuführen.[8]

Hiernach sind z. B. Gutschriften auf einem Wertguthabenkonto (Arbeitszeitkonten) zur Finanzierung eines vorzeitigen Ruhestands auch bei einem Fremd-Geschäftsführer einer GmbH kein gegenwärtig zufließender Arbeitslohn.[9] Erst die Auszahlung während der Freistellungsphase gilt als Zufluss und löst die Besteuerung aus. Bei lohnsteuerlicher Anerkennung liegt keine vgA vor.[10] Arbeitszeitkonten bei beherrschenden Gesellschaftern-Geschäftsführern werden jedoch lohn-/einkommensteuerlich nicht anerkannt. Entsprechende Rückstellungen der Gesellschaft führen zum Vorliegen einer vgA.[11]

 

Sonstiger Bezug

Ein sonstiger Bezug ist der Arbeitslohn, der nicht als laufender Arbeitslohn gezahlt wird. Zu den sonstigen Bezügen gehören insbesondere einmalige Arbeitslohnzahlungen, die neben dem laufenden Arbeitslohn gezahlt werden, z. B.:

  • dreizehnte und vierzehnte Monatsgehälter,
  • einmalige Abfindungen und Entschädigungen,
  • Gratifikationen und Tantiemen, die nicht fortlaufend gezahlt werden,
  • Jubiläumszuwendungen,
  • Urlaubsgelder, die nicht fortlaufend gezahlt werden, und Entschädigungen zur Abgeltung nicht genommenen Urlaubs,
  • Vergütungen für Erfindungen,
  • Weihnachtszuwendungen,
  • Nachzahlungen und Vorauszahlungen, wenn sich der Gesamtbetrag oder ein Teilbetrag der Nachzahlung oder Vorauszahlung auf Lohnzahlungszeiträume bezieht, die in einem anderen Jahr als dem der Zahlung enden, oder, wenn Arbeitslohn für Lohnzahlungszeiträume des abgelaufenen Kalenderjahres später als drei Wochen nach Ablauf dieses Jahres zufließt,
  • Ausgleichszahlungen für die in der Arbeitsphase erbrachten Vorleistungen auf Grund eines Altersteilzeitverhältnisses im Blockmodell, das vor Ablauf der vereinbarten Zeit beendet wird,
  • Zahlungen innerhalb eines Kalenderjahres als viertel- oder halbjährliche Teilbeträge.

Praxishinweis

Liegt ein sonstiger Bezug vor, bedarf es der engen Zusammenarbeit zwischen der Finanzbuchhaltung und der Lohnabteilung, da der sonstige Bezug mit Zahlung und eben nicht mit Abrechnung zufließt. Durch das Abstellen auf den Zuflusszeitpunkt können sich auch steuerliche Vorteile wie z. B. aus der Reduzierung des Solidaritätszuschlags ab dem VZ 2021 ergeben.

 

Zufluss(fiktion) von Gehaltsbestandteilen bei einem Gesellschafter-Geschäftsführer einer Kapitalgesellschaft

In den letzten Jahren hat sich die Rechtsprechung verstärkt zur lohnsteuerlichen Behandlung bestimmter Gehaltsbestandteile eines Gesellschafter-Geschäftsführers einer Kapitalgesellschaft geäußert, die im Anstellungsvertrag vereinbart, aber tatsächlich nicht ausgezahlt wurden.

Grundsätzlich lässt sich auch bei den Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit (Arbeitslohn) kein Zufluss fingieren.[12]

Eine Ausnahme macht die Rechtsprechung bei beherrschenden Gesellschaftern einer Kapitalgesellschaft.[13] Sie löst sich vom tatsächlichen Zufluss und unterstellt u. U. einen Zufluss (Zuflussfiktion).

Von dieser Zuflussfiktion werden nur Gehaltsbeträge und sonstige Vergütungen erfasst, die die Kapitalgesellschaft den sie beherrschenden Gesellschaftern schuldet und die sich bei der Ermittlung ihres Einkommens ausgewirkt haben bzw. – nach Auffassung der FinVerw.[14] – sich hätten gewinnmindernd auswirken müssen.

Keine Einnahmen fließen zu, wenn der Gläubiger (Gesellschafter) gegenüber dem Schuldner (Gesellschaft) auf bestehende oder künftige Ansprüche ohne Ausgleich verzichtet und dadurch selbst eine Vermögenseinbuße erleidet.[15]

Etwas anderes gilt nur dann, wenn der verzichtende Gesellschafter den Erlass gewährt und dadurch eine (verdeckte) Einlage leistet. Denn hierdurch erleidet er keine Vermögenseinbuße, sondern bewirkt eine Umschichtung seines Vermögens.[16] Gesellschafter können eine verdeckte Einlage in die KapG durch den Verzicht auf eine Forderung im eigenwirtschaftlichen Interesse bewirken (Veranlassung durch das Gesellschaftsverhältnis).[17]

Praxishinweis

Für die Frage, ob ein Zufluss einer Vergütung beim Gesellschafter und ggf. auch eine verdeckte Einlage des Gesellschafters in die KapG vorliegt, kommt es also entscheidend darauf an, wann der Anspruch des Ges.-GF entstanden ist und ob er vor oder nach Entstehen seines Anspruchs auf diesen verzichtet hat. Nur falls im vorhinein – vor Entstehung des jeweiligen Gehaltsanspruchs- hierauf (nachweislich) verzichtet wird, kommt es nicht zu einer Vermögensmehrung bei der GmbH. Andernfalls – bei Verzicht im Nachhinein – hätte die KapG zunächst jeweils Gehaltsbestandteile passivieren müssen.[18] Eine unzutreffende Bilanzierung kann nicht zur Vermeidung eines Zuflusses oder einer verdeckten Einlage führen.[19]

 

Zu beantwortende Rechtsfragen

Die BFH-Rspr. hatte sich mit dem Zuflusszeitpunkt einer Tantieme bei einem beherrschenden Gesellschafter-Geschäftsführer zu befassen. Unstreitig war, dass die Tantieme zum steuerpflichtigen Arbeitslohn zählte und keine vgA auslöste. Fraglich war Folgendes:

  • Fließt dem Gesellschafter-Geschäftsführer ein Vermögensvorteil bereits bei Fälligkeit zu, sofern die KapG zum Zeitpunkt der Fälligkeit zahlungsfähig ist?
  • Stellt die Kapitalgesellschaft ihren Jahresabschluss verspätet fest, ist die Forderung dann zu dem Zeitpunkt als fällig anzusehen, zu dem sie fällig gewesen wäre, wenn der Jahresabschluss fristgerecht festgestellt worden wäre?
  • Ist ein Verlustrücktrag bei der Berechnung der Tantiemenhöhe zu berücksichtigen, selbst wenn dies in der Tantiemenregelung nicht ausdrücklich vorgesehen ist?

 

BFH-Urt. v. 28.4.2020 – VI R 44/17, DStR 2020, 1902

 

Sachverhalt

Die Kläger sind Eheleute und wurden für das Streitjahr 2009 zur Einkommensteuer zusammen veranlagt.

Der Kläger war im Streitjahr zu 51 % Gesellschafter sowie Geschäftsführer der im Juni 1995 gegründeten A GmbH. Weiterer Anteilseigner mit 49 % und ebenfalls Geschäftsführer der A GmbH war der Bruder des Klägers, Herr P.

Außerdem war der Kläger Alleingesellschafter und Geschäftsführer der im Februar 1979 gegründeten B GmbH.

Für seine Tätigkeit für die A-GmbH erhielt der Kläger 2009 ein Geschäftsführergehalt i.H.v. 157.969 €. Für seine Tätigkeit für die B-GmbH erhielt der Kläger 2009 ein Geschäftsführergehalt i.H.v. 208.705 €.

Mit Geschäftsführerverträgen vom 2.1.1996 bzw. 31.5.1996 gewährten die A GmbH und die B GmbH ihren Geschäftsführern neben dem monatlichen Festgehalt Tantiemen. Diese waren jeweils vom Jahresüberschuss der Handelsbilanz nach Verrechnung mit Verlustvorträgen und vor Abzug der Körperschaft- und Gewerbesteuer zu berechnen und einen Monat nach Genehmigung des Jahresabschlusses durch die Gesellschafterversammlung fällig.

Zum 31.12.2008 wurden in der Bilanz der A GmbH für jeden Geschäftsführer Tantiemen in Höhe von jeweils 160.984 € passiviert.

In der Bilanz der B GmbH zum 31.12.2008 wurde zugunsten des Klägers eine Tantieme in Höhe von 160.260 € als sonstige Rückstellung ausgewiesen.

Die Bilanzen der A GmbH und der B GmbH wurden im Dezember des Streitjahres festgestellt.

Die Tantiemen wurden weder im Streitjahr noch in den Folgejahren ausgezahlt. Im Jahr 2011 wurden sie jeweils auf das Konto 1701 “sonstige Verbindlichkeiten” umgebucht.

Im Streitjahr erlitten die A GmbH und die B GmbH Verluste, die jeweils nach 2008 zurückgetragen wurden.

Ausweislich der Bilanzakten der A-GmbH und der B-GmbH erfolgte bis 2014 bei der A GmbH bzw. bis 2013 bei der B GmbH keine (teilweise) den Gewinn erhöhende Auflösung der Tantieme-Verbindlichkeiten. Erträge aus der Auflösung von Verbindlichkeiten gegenüber den Gesellschaftern waren in den Gewinn- und Verlustrechnungen der A GmbH bis 2014 bzw. bis 2013 bei der B GmbH nicht enthalten.

Das Finanzamt erließ an einer LSt-Außenprüfung einen geänderten ESt-Bescheid für 2009, in dem der Bruttoarbeitslohn inklusive der beiden Tantiemen nunmehr i.H.v. 687.918 € angesetzt wurde.

Hiergegen wandte sich der Kläger auch mit der Begründung, dass sich die Verlustrückträge auf die Tantiemeberechnung rückwirkend auswirkt. Die Tantiemen reduzieren sich daher auf 60.783 € und 88.072 €,

Das FG Rheinland-Pfalz[20] ist dem nicht gefolgt. Ein Verlustrücktrag sei bei der Berechnung der Tantieme nur dann zu berücksichtigen, wenn dies ausdrücklich in der Vereinbarung vorgesehen sei. Fehle eine solche Vereinbarung – wie im Entscheidungsfall – können nur Verlustvorträge berücksichtigt werden. Zudem entschied das FG Rheinland-Pfalz,  dass bei beherrschenden Gesellschaftern ein Vermögensvorteil nicht erst bei Zahlung, sondern bereits bei Fälligkeit zufließt, sofern die KapG zum Zeitpunkt der Fälligkeit zahlungsfähig ist. Stellt die KapG ihren Jahresabschluss verspätet fest, ist die Forderung zu dem Zeitpunkt als fällig anzusehen, zu dem sie fällig gewesen wäre, wenn der Jahresabschluss fristgerecht festgestellt worden wäre.

 

Entscheidung und Begründung des BFH

Der BFH schloss sich der Entscheidung der Vorinstanz nicht an. Die Revision hat der BFH aus folgenden Erwägungen als begründet angesehen:

  • Die vom BFH zugelassene Zuflussfiktion hinsichtlich Einnahmen des beherrschenden Gesellschafter-Geschäftsführers bei Fälligkeit (auch ohne Zahlung oder Gutschrift) erfasst nur Gehaltsbeträge und sonstige Vergütungen, die die Kapitalgesellschaft dem beherrschenden Gesellschafter schuldet und die sich bei der Ermittlung des Einkommens der Kapitalgesellschaft ausgewirkt haben.
  • Enthält die Satzung/der Geschäftsführervertrag eine bindende Regelung über eine spätere Fälligkeit des Anspruchs (hier: ein Monat nach Feststellung des Jahresabschlusses), ist es gerechtfertigt, hierauf abzustellen.
  • Ob im Hinblick auf § 42 AO etwas anderes gilt, wenn der beherrschende Gesellschafter durch die Nichtbeachtung der gesetzlichen Pflicht zur rechtzeitigen Feststellung des Jahresabschlusses gemäß § 42a Abs. 2 GmbHG zielgerichtet die Fälligkeit eines ihm zustehenden Tantiemeanspruchs und damit den Zeitpunkt der Versteuerung der Tantieme hinauszögert, braucht der BFH nicht zu entscheiden.
  • Denn ein noch nicht existenter Jahresabschluss kann auch dann keine Grundlage für etwaige Ansprüche eines Gesellschafters gegen die GmbH sein, wenn es sich um den beherrschenden Gesellschafter handelt.

 

 

Urteilsanmerkungen

Tatsächlicher Zufluss vs. Zuflussfiktion

Die als Arbeitslohn zu qualifizierende Tantieme ist als sonstiger Bezug grundsätzlich im Zuflusszeitpunkt zu erfassen.[21] Aufgrund der bei beherrschenden Gesellschaftern-Geschäftsführern geltend Zuflussfiktion fließt die unbestrittene Forderung bereits mit Fälligkeit zu.

Praxishinweis

Hintergrund für die Fälligkeitsfiktion, die die ständige BFH-Rechtsprechung seit Jahren vertritt, ist, das es der beherrschende Gesellschafter selbst in der Hand hat, zu welchem Zeitpunkt er die eindeutigen, unbestrittenen Beträge auszahlt. Hieran hält auch die Rezessionsentscheidung fest.[22]

 

Fälligkeit der Tantiemenzahlung nach Feststellung des Jahresabschlusses

Der Anspruch auf eine Tantieme wird erst mit Feststellung des Jahresabschlusses fällig. Die Vertragsparteien haben aber die Möglichkeit, eine andere und zwar spätere Fälligkeit im Anstellungsvertrag zu vereinbaren. Diese muss dann zivilrechtlich wirksam und fremdüblich sein.[23]

Praxishinweis

Im Hinblick auf die Fremdüblichkeit sollten die Vereinbarungen regelmäßig geprüft werden.[24] Gerade im Hinblick auf den bevorstehenden Jahreswechsel bietet sich dies an.

Die zeitlich nach hinten verschobene Fälligkeit wird von der Rechtsprechung zugelassen, weil die Gesellschaft üblicherweise bei höheren Tantiemenzahlungen Zeit benötigt, um die Liquidität für die Auszahlung bereitstellen zu können. Dies gilt gerade in Corona-Zeiten.

Praxishinweis

Im Entscheidungsfall war die Tantieme jeweils einen Monat nach Genehmigung des Jahresabschlusses durch die Gesellschafterversammlung fällig. Der BFH sieht eine solche Zeitspanne als angemessen an;[25] eine gesellschaftsrechtliche Veranlassung liegt hierin nicht. Auch drei Monate dürften (noch) keine unangemessen lange Zeitspanne sein.[26]

Ob wegen der Corona-Krise und der liquiditätsmäßigen Beeinträchtigung der Unternehmen diese Frist von der Rechtsprechung ohne Beachtung der Umstände des Einzelfalls verlängert wird, bleibt abzuwarten. Nötig wäre dies zumindest bei den Unternehmen, die von der Corona-Krise betroffen sind.

 

Beherrschender Gesellschafter-Geschäftsführer

Die Zuflussfiktion kommt bei beherrschenden Gesellschaftern/Geschäftsführern zur Anwendung. Dazu ist grds. die Mehrheit der Stimmrechte (nicht unbedingt die Kapitalmehrheit) erforderlich.[27] Im Entscheidungsfall war der Kläger zu 51 % an der A-GmbH beteiligt und Geschäftsführer. Zudem war er alleiniger Gesellschafter-Geschäftsführer der B-GmbH. Die Anteile der Stimmrechte entsprachen der Kapitalbeteiligung. Bei einem Gesellschafter, der zu mehr als 50 % der Stimmrechte hält, liegt ein beherrschender Gesellschafter vor. Dies war in der Rezessionsentscheidung unstrittig.

An der A-GmbH war der Bruder des Klägers zu 49 % beteiligt. Ein Gesellschafter, der nicht mehr als 50 % der Geschäftsanteile hält, kann nach ständiger Rspr. einem beherrschenden Gesellschafter gleichgestellt werden, wenn er mit anderen gleichgerichtete materielle, d.h. finanzielle Interessen, verfolgenden Gesellschaftern zusammen wirkt, um eine ihren Gesellschaftsinteressen entsprechende Willensbildung der KapG herbeizuführen.[28] Allein der Umstand, dass die Gesellschafter Eheleute sind, kann eine Vermutung gleichgerichteter materieller Interessen nicht begründen.[29]

Praxishinweis

Nach Auffassung der Rechtsprechung des BFH ist für die Frage der Beherrschung auf den Zeitpunkt des Abschlusses des Rechtsgeschäfts abzustellen. Auch in einer aktuellen Entscheidung in einem Parallelverfahren, welches offensichtlich von dem Bruder des Klägers der Rezessionsentscheidung geführt wurde, hat sich der BFH[30] – da nicht entscheidungserheblich – nicht näher dazu äußern müssen, wann die Anteile mehrerer Gesellschafter wegen gleichgerichteter Interessen zusammenzurechnen sind.

Stellt man bei Dauerschuldverhältnissen – wie es das FG Rheinland-Pfalz[31] meinte – nicht auf den Zeitpunkt des Vertragsabschlusses, sondern auf den Zeitpunkt der Gewährung des Vorteils ab, können Gesellschafter im Laufe der Zeit in die beherrschende Stellung hinein- oder herauswachsen.[32]

 

Beherrschender Gesellschafter: Verspätete Jahresabschlussfeststellung und Zuflussfiktion

Die verspätete Feststellung des Jahresabschlusses wirkt sich nach der neuen Auffassung des BFH auf die Zuflussfiktion aus.

Wird der Jahresabschluss verspätet festgestellt, wird bislang von einem Zufluss ausgegangen, der bei Fälligkeit bei fristgerechter Aufstellung des Jahresabschlusses eingetreten wäre. Dies hat der BFH in der Rezessionsentscheidung abgelehnt. Nach Auffassung des VI. Senats kann ein noch nicht existierender Jahresabschluss keine Grundlage für etwaige Ansprüche des (beherrschenden) Gesellschafter-Geschäftsführers gegen die GmbH sein.[33] Dies gelte selbst dann, wenn die Feststellung des Jahresabschlusses nicht fristgerecht erfolgt.

Beispiel

Der Jahresabschluss 2019 der kleinen GmbH wird am 29.12.2020 festgestellt. Das Wirtschaftsjahr der Gesellschaft entspricht dem Kalenderjahr. Die angemessene Tantieme wird dem alleinigen Gesellschafter-Geschäftsführer am 29.1.2021 ausgezahlt. Im Anstellungsvertrag ist geregelt, dass die Tantieme einen Monat nach Feststellung des Jahresabschlusses zur Auszahlung kommt.

Lösung

Die Tantieme unterliegt als Arbeitslohn im Januar 2021 dem Lohnsteuerabzug. Nach bisheriger Auslegung muss die Lohnversteuerung in 2020 erfolgen.

Praxishinweis

Etwas anderes soll nur dann gelten, wenn der beherrschend Gesellschafter durch Nichtbeachtung der gesetzlichen Pflicht zur rechtzeitigen Feststellung des Jahresabschlusses zielgerichtet die Fälligkeit eines ihm zustehenden Tantiemeanspruchs und damit den Zeitpunkt der Versteuerung der Tantieme hinauszögert. Die Abgrenzung zwischen einer „willkürlichen“ Verzögerung und einer „nicht willkürlichen“ Verzögerung dürfte sich als nicht anwendbar erweisen. Bei Schätzungen der Besteuerungsgrundlage dürfte von einer „willkürlichen“ Verzögerung auszugehen sein, selbst wenn der Jahresabschluss vermeintlich frühzeitiger festgestellt wurde.

Es bleibt abzuwarten, wie die Finanzverwaltung und eventuell der Gesetzgeber auf diese unliebsame Rechtsprechung reagieren wird. Sofern es in den bisherigen Fällen zu Lohnsteuer-Haftungen des Arbeitgebers kommt oder im Rahmen der Einkommensteuer beim Gesellschafter-Geschäftsführer die nicht zugeflossenen Tantiemen wegen der Zuflussfiktion als steuerpflichtiger Arbeitslohn erfasst werden, sollte mit der aktuelle BFH-Rechtsprechung argumentiert werden, um den Zuflusszeitpunkt zu verschieben.

 

 

[1] BFH-Urt. v. 28.4.2020 – VI R 44/17, DStR 2020, 1902

[2] § 11 Abs. 1 Satz 4 EStG

[3] § 38a Abs. 1 Satz 2 EStG

[4] § 38a Abs. 1 Satz 3 EStG

[5] BFH-Urt. v. 29.5.2008 – VI R 57/05, BStBl II 2009, 147

[6] R 38.2 Abs. 1 Satz 1 LStR 2015

[7] BFH-Urt. v. 18.8.2016 – VI R 18/13, BStBl II 2017, 730

[8] BFH-Urt. v. 15.6.2016 – VI R 6/13, BStBl II 2016, 903

[9] BFH-Urt. v. 22.2.2018 – VI R 17/16, BStBl II 2019, 496 und BMF-Schr. v. 8.8.2019 – BStBl I 2019, 874

[10] BMF-Schr. v. 8.8.2019 – BStBl I 2019, 874

[11] OFD Ffm v. 1.10.2019 – S 2742 A-38-St 520, juris

[12] BFH-Urt. v. 3.2.2011 – VI R 4/10, BStBl II 2014, 493 und BFH-Urt. v. 15.6.2016 – VI R 6/13, BStBl II 2016, 903

[13] Siehe auch BMF-Schr. v. 12.5.2014 – IV C 2 – S 2743/12/10001, BStBl I 2014, 860

[14] BMF-Schr. v. 12.5.2014 – IV C 2 – S 2743/12/10001, BStBl I 2014, 860 und BFH-Urt. v. 15.5.2013 – VI R 24/12, BStBl II 2014, 495

[15] BFH-Urt. v. 3.2.2011 – VI R 4/10, BStBl II 2014, 493 Rz. 12

[16] BFH v. 9.6.1997 – GrS 1/94, BStBl II 1998, 307; siehe auch Krohn, AktStR 2/2019, 277; siehe auch Kaminski, AktStR 1/2017, 59 (65)

[17] Korth, AktStR 3/2014, 421

[18] BFH-Urt. v. 15.6.2016 – VI R 6/13, BStBl II 206, 903 Rz. 22

[19] Kaminski, AktStR 1/2017, 59 (68)

[20] FG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 24.8.2017 – 6 K 1418/14, EFG 2018, 32

[21] §§ 11 Abs. 1 Satz 4, 38a Abs. 1 Satz 3 EStG

[22] BFH-Urt. v. 28.4.2020 – VI R 44/17, DStR 2020, 1902 Rz. 25

[23] BFH-Urt. v. 3.2.2011 – VI R 66/09, BStBl II 2014, 491 Rz. 13 m.w.N.

[24] Krohn, AktStR 2/2019, 277 (286)

[25] BFH-Urt. v. 28.4.2020 – VI R 44/17, DStR 2020, 1902 Rz. 30

[26] BFH-Urt. v. 3.2.2011 – VI R 66/09, BStBl II 2014, 491; siehe auch Korth, AktStR 2011, 337

[27] Kaminski, AktStR 1/2017, 59 (63)

[28] BFH-Urt. v. 10.3.1993 – I R 51/92, BStBl II 1993, 635 m.w.N. und H 8.5 KStH „Beherrschender Gesellschafter“; siehe auch Kaminski, AktStR 1/2017, 59 (63)

[29] BVerfG, Beschl v. 12.3.1985 – I BvR 571/81, BStBl II 1985, 475

[30] BFH-Urt. v. 28.4.2020 – VI R 45/17, juris

[31] FG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 24.8.2017 – 6 K 1418/14, EFG 2018, 32 Rz. 41-49

[32] Tiedchen, EFG 2018, 37 (38) und Krohn, AktStR 2/2019, 277 (286)

[33] BFH-Urt. v. 28.4.2020 – VI R 44/17, DStR 2020, 1902, Rz. 36

 

 

 

Stand: 22.09.2020