Schuldzinsenabzug nach § 4 Abs. 4a EStG: Gewinndefinition und bedeutsame Übergangsregelung
Grundsätzliches
Als Reaktion auf die Rspr. zum sog. Zwei- und Mehrkontenmodell[1] hat der Gesetzgeber den betrieblichen Schuldzinsenabzug durch § 4 Abs. 4a EStG für Wirtschaftsjahre, die nach dem 31. Dezember 1998 enden, eingeschränkt.[2] Betrieblich veranlasste Schuldzinsen sind danach nicht abziehbar, soweit sie auf Überentnahmen entfallen.[3] Sinngemäß gilt dies für den Fall der Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG, wobei Entnahmen und Einlagen gesondert aufzuzeichnen sind.[4]
Praxishinweis
§ 4 Abs. 4a EStG kommt bei Überschusseinkünften nicht zur Anwendung, so dass die Gestaltungsmöglichkeiten des Zwei- oder Mehrkontenmodells weiterhin Anwendung finden können.
Beispiel
A erzielt Einkünfte aus VuV. Auf dem Konto 1 gehen die gesamten Einnahmen ein und über das Konto 2 werden die gesamten Ausgaben (= Werbungskosten) geleistet. Von dem Einnahmekonto entnimmt A Beträge, die für seine Lebensführung gedacht sind. Das Konto 1 weist trotz der Entnahmen keinen negativen Saldo aus. Durch den Negativsaldo des Kontos 2 entstehen Schuldzinsen.
Die Schuldzinsen des Ausgabenkontos sind als Werbungskosten bei den Einkünften aus VuV abziehbar. Überentnahmen sind nicht zu ermitteln, weil § 4 Abs. 4a EStG bei Überschusseinkünften nicht zur Anwendung kommt.
Begriffsbestimmung „Gewinn“
Das EStG unterstellt bei Vorliegen von Überentnahmen bzw. eines Überschusses der Entnahmen über die Einlagen nach § 4 Abs. 4a EStG eine private Veranlassung und stuft infolgedessen die Zinsen als nicht abziehbar ein.[5]
Bei Ermittlung der Über- oder Unterentnahmen ist auch das steuerliche Ergebnis – sei es ein Gewinn oder Verlust – zu berücksichtigen.
Bedeutsam für die Beratungspraxis ist aktuell das Folgende: Abweichend von der Auffassung der Finanzverwaltung hat der BFH entschieden, dass als Gewinn/Verlust i.d.S. derjenige nach § 4 Abs. 1 EStG heranzuziehen sei.[6]
Durch die kapitalorientierte Sichtweise des BFH bleiben außerbilanzielle Kürzungen oder Hinzurechnungen wie z. B. auch die nicht abziehbaren Betriebsausgaben i.S.d. § 4 Abs. 5 S. 1 EStG für Zwecke der Berechnung der nicht abziehbaren Schuldzinsen außer Ansatz. Die steuerpflichtigen Einkünfte sind damit nicht identisch mit dem Gewinn nach § 4 Abs. 4a S. 2 EStG. Es bedarf insoweit einer Schattenberechnung.
Beispiel
Der Gewinn des Gewerbetreibenden A beträgt 60.000 EUR. Diesem ist die Gewerbesteuer i.H.v. 10.000 EUR hinzuzurechnen.
Lösung – Gewinn i.S.d. § 4 Abs. 4a EStG (bisher)[7]
60.000 EUR + 10.000 EUR = 70.000 EUR
Lösung – Gewinn i.S.d. § 4 Abs. 4a EStG (neu)[8]
60.000 EUR
Die Finanzverwaltung wendet die neue BFH-Rechtsprechung durch die amtliche Urteilsveröffentlichung im BStBl zwar über den entschiedenen Einzelfall hinaus an. Sie gewährt für die Wirtschaftsjahre, die vor dem 1. Januar 2021 begonnen haben, aber zwei bedeutsame Vertrauensschutzregelungen:[9]
- Auf Antrag können die außerbilanziellen Hinzurechnungen letztmals für Wirtschaftsjahre berücksichtigt werden, die vor dem 1. Januar 2021 begonnen haben.
- Die Überentnahmen sind periodenübergreifend erstmals für Wirtschaftsjahre zu ermitteln, die nach dem 31. Dezember 1998 enden.[10] Da es sich nicht um eine gesonderte Feststellung handelt, stellte sich die Frage, ob für anschließende Wirtschaftsjahre der Gewinn oder Verlust gem. § 4 Abs. 4a S. 2 EStG unter Berücksichtigung der neuen BFH-Rechtsprechung zu ermitteln wäre. Dies widerspricht dem Vertrauensschutz, so dass die Finanzverwaltung den nach früherer Rechtslage ermittelten Gewinn und Verlust auch für die periodenübergreifende Schattenberechnung ab dem Wirtschaftsjahr 2021[11] übernimmt.
Praxishinweis
In der zur Anlage EÜR 2020 veröffentlichten Anlage SZ (Zeile 6) wird bereits die Anwendung der neuen Rechtsauslegung berücksichtigt, ohne dass auf die nunmehr getroffene Vertrauensschutzregelung hingewiesen wird.[12]
Um Haftungsrisiken zu verhindern, sollte in den Wirtschaftsjahren vor 2021 unter Inanspruchnahme der vom BMF eingeräumten Vertrauensschutzregelung in Zeile 6 keine Eintragung vorgenommen werden.
Technisch muss geprüft werden, ob die Datenverarbeitungsprogramme dies berücksichtigen. Es besteht die Gefahr, dass durch die Datenübernahme aus dem Jahresabschlussprogramm diese „automatisch“ eingetragen werden.
[1] BFH-Beschl. v. 8.12.1997 – GrS 1-2/95, BStBl II 1998, 193
[2] § 52 Abs. 6 S. 5 EStG
[3] § 4 Abs. 4a S. 1 EStG
[4] § 4 Abs. 4a S. 6 EStG
[5] BFH-Urt. v. 21.9.2005 – X R 47/03, BStBl II 2006, 504
[6] BFH-Urt. v. 3.12.2019 – X R 6/18, BStBl II 2021, 77
[7] BMF-Schr. v. 2.11.2018 – BStBl I 2018, 1207 Rz. 8
[8] BMF-Schr. v. 18.1.2021 – BStBl I 2021, 119
[9] BMF-Schr. v. 18.1.2021 – BStBl I 2021, 119
[10] § 52 Abs. 6 S. 5 EStG und BFH-Urt. v. 5.11. 2019 – X R 40-41/18, BFH/NV 2020, 861
[11] Unterstellt Wirtschaftsjahr = Kalenderjahr
[12] BMF-Schr. v. 16.9.2020 – BStBl I 2020, 995