Der Gesetzgeber hat in § 3 Nr. 72 EStG eine neue – punktuell wirkende – Steuerfreiheit aufgenommen.

Gesetzeswortlaut

Steuerfrei sind …

„die Einnahmen und Entnahmen im Zusammenhang mit dem Betrieb

a)

von auf, an oder in Einfamilienhäusern (einschließlich Nebengebäuden) oder nicht Wohnzwecken dienenden Gebäuden vorhandenen Photovoltaikanlagen mit einer installierten Bruttoleistung laut Marktstammdatenregister von bis zu 30 kW (peak) und

b)

von auf, an oder in sonstigen Gebäuden vorhandenen Photovoltaikanlagen mit einer installierten Bruttoleistung laut Marktstammdatenregister von bis zu 15 kW (peak) je Wohn- oder Gewerbeeinheit,

insgesamt höchstens 100 kW (peak) pro Steuerpflichtigen oder Mitunternehmerschaft.

Werden Einkünfte nach § 2 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 erzielt und sind die aus dieser Tätigkeit erzielten Einnahmen insgesamt steuerfrei nach Satz 1, ist kein Gewinn zu ermitteln.

In den Fällen des Satzes 2 ist § 15 Abs. 3 Nr. 1 nicht anzuwenden.“

Praxishinweis

Die neue Steuerfreiheit kommt unabhängig von der Verwendung des durch die PV-Anlage produzierten Stroms zur Anwendung. Sie hängt auch nicht von einem Antrag ab. Die Rechtsfolgen treten kraft Gesetzes ein. Die Befreiungsvoraussetzungen sind im jeweiligen VZ zu prüfen.

  • Zeitliche Anwendung

Nach § 52 Abs. 4 Satz 27 EStG ist diese Steuerbefreiung „für Einnahmen und Entnahmen anzuwenden, die nach dem 31. Dezember 2021 erzielt oder getätigt werden“.

Praxishinweis

Für die Anwendung der Steuerfreiheit kommt es nicht auf den Verlauf des Wirtschaftsjahres an. Läuft ein Wirtschaftsjahr z. B. vom 1.7.2021 bis zum 30.6.2022, bleiben die Einnahmen und Entnahmen nach § 3 Nr. 72 EStG steuerfrei, die auf das Kalenderjahr 2022 entfallen.

Die Steuerfreiheit nach § 3 Nr. 72 EStG wird im Übrigen „kraft Gesetzes“ ausgelöst. Unabhängig davon, ob ein Liebhabereiantrag nach dem BMF-Schreiben vom 29. Oktober 2021[1] gestellt wurde oder nicht, tritt die neue Steuerfreiheit ein. Ein Übergangswahlrecht für Anlagen, die vor 2022 installiert wurden, ist gesetzlich nicht vorgesehen. Dies hat zur Folge, dass eventuelle Verluste aus dem Betrieb einer jetzt steuerfreien PV-Anlage ab 2022 nicht mehr berücksichtigungsfähig sind.

Praxishinweis

  • 3 Nr. 72 EStG umfasst nicht kleinere Blockheizkraftwerke. Insoweit dürften die Regelungen des BMF-Schreibens vom29. Oktober 2021[2] weiterhin zur Anwendung kommen.
  • Persönlicher Anwendungsbereich

Die Steuerbefreiung gilt bei allen Einkunftsarten und ebenso über § 8 Abs. 1 KStG bei Kapitalgesellschaften und bspw. auch bei Betrieben gewerblicher Art i.S.d. § 4 KStG.

  • Sachlicher Anwendungsbereich
  • 3 Nr. 72 EStG erfasst ausschließlich Photovoltaikanlagen „an, auf oder in“ Gebäuden und damit Aufdach- und Fassadenanlagen. Die neue Steuerfreiheit kommt sowohl für Aufdachanlagen als auch dachintegrierte Anlagen zur Anwendung.

Erfasst werden Einfamilienhäuser, nicht Wohnzwecken dienende Gebäude und sonstige Gebäude. Im Ergebnis werden sämtliche Gebäudearten unabhängig von deren Nutzung erfasst.

Eine Unterscheidung zwischen Einfamilienhäusern, nicht Wohnzwecken dienenden Gebäuden und sonstigen Gebäuden muss gleichwohl erfolgen, weil unterschiedliche kWp-Berechnungen vorzunehmen sind.

§ 3 Nr. 72 Satz 1 … EStG Anwendungs-bereich Beispiele
Buchst. a) 30 kWp-Grenze Einfamilienhäuser (einschließlich Nebengebäude) und nicht Wohnzwecken dienende Gebäude. Einfamilienhaus,

separate Garage eines Einfamilienhauses,

Betriebsgebäude,

Gebäude eines Vereins oder einer Kommune

Buchst. b) 15 kWp-Grenze je Wohn- oder Gewerbe-einheit sonstige Gebäude, die nicht unter Buchst. a) fallen. Wohngebäude, die keine Einfamilienhäuser sind (Mehrfamilienhaus),

gemischt genutzte Gebäude (unabhängig davon, welche Nutzung überwiegt)

Praxishinweis

Sonstige Gebäude i.S.d. § 3 Nr. 72 Satz 1 Nr. 2 EStG bestehen zumindest aus zwei Einheiten, so dass bei Einhaltung der 30 kWp-Grenze eine Steuerfreiheit ausgelöst wird. Nur wenn die 30 kWp-Grenze überschritten werden sollte, kommt es bei Vorliegen eines sonstigen Gebäudes auf die Anzahl der Einheiten an.

Die Nutzung des Gebäudes ist unerheblich, so dass beispielsweise auch bei ganz oder teilweise[3] vermieteten Einfamilienhäusern die Steuerfreiheit nach § 3 Nr. 72 S. 1 Nr. 1 EStG zur Anwendung kommt. Entsprechendes gilt auch, wenn einzelne Räume z. B. an Ukraine-Flüchtlinge unentgeltlich überlassen werden.

Der Gesetzgeber stellt bei Anwendung der Steuerfreiheit nach § 3 Nr. 72 EStG auf die Gebäudeart „Einfamilienhaus“ oder – wenn kein Einfamilienhaus vorliegt – auf die Gebäudenutzung (nicht Wohnzwecken dienende Gebäude oder sonstige Gebäude) ab. Unerheblich dürfte sein, ob der PV-Anlagenbetreiber auch (Mit-)Eigentümer des jeweiligen Gebäudes ist.

Praxishinweis

Der Gesetzgeber definiert nicht, was unter einer „Einheit“ i.S.d. § 3 Nr. 72 Satz 1 Buchst. b) EStG zu verstehen ist. Liegt ein Mehrfamilienhaus mit 3 vermieteten Wohnungen vor, dürfte je Wohnung eine Einheit vorliegen. Werden zwei Wohnungen zusammengelegt, dürfte sich die Veränderung ab dem Zeitpunkt der Zusammenlegung auch auf die max. kWp-Grenze (dann 30 kWp statt vormals 45 kWp) auswirken. Um die Gefahr einer nachträglich eintretenden Steuerpflicht zu verhindern, sollte bei sonstigen Gebäuden ebenfalls eine Begrenzung auf 30 kWp beachtet werden.

Hinsichtlich der Anlagenleistung ist ausschließlich auf die „installierte Bruttoleistung laut Marktstammdatenregister“ abzustellen.

  • 100 kWp-Grenze

Die Steuerfreiheit ist auf insgesamt höchstens 100 kW (peak) pro Steuerpflichtigen oder Mitunternehmerschaft begrenzt.

Fraglich ist, wie die 100 kWp-Grenze je Steuerpflichtiger bzw. Mitunternehmerschaft zu werten ist. Dies kann so verstanden werden, dass

  • die Steuerbefreiung nur dann zur Anwendung kommt, wenn der Steuerpflichtige Anlagen bis zu 100 kWp betreibt (Freigrenze) oder aber
  • je Steuerpflichtiger Anlagen bis zu 100 kWp steuerfrei gestellt sind und nur die darüber hinausgehenden Anlagen nicht unter die Steuerbefreiung fallen.

Eine Klarstellung durch die Finanzverwaltung ist geboten. Vieles dürfte für eine Freigrenze sprechen.

Die Ermittlung der 100 kWp-Grenze erfolgt je Steuerpflichtiger oder je Mitunternehmerschaft. Bei Ehegatten gilt damit die 100 kWp-Grenze je Ehegatte, selbst wenn diese zusammen zur Einkommensteuer veranlagt werden. Außerdem wird je Mitunternehmerschaft eine 100 kWp-Grenze gewährt. M. E. ist die Mitunternehmerschaft als eigene steuerpflichtige Person anzusehen; es erfolgt keine Vervielfältigung der 100 kWp-Grenze je einzelnem Mitunternehmer.

Praxishinweis

Vermietungsfonds dürften damit weiterhin nicht geneigt sein, PV-Anlagen zur Produktion von Mieterstrom zu installierten. Gesetzliche Nachbesserungen sind notwendig; kann man sich nicht auf eine weitergehende Steuerfreiheit einigen, sollte zumindest die gewerbliche Abfärbung gesetzlich verhindert werden.

Sofern für PV-Anlagen ein Liebhabereiantrag nach dem BMF-Schreiben vom 29.10.2021[4]gestellt wurde, werden keine Einkünfte erzielt. Damit kommt der Steuerfreiheit nach § 3 Nr. 72 EStG nur eine deklaratorische Bedeutung zu. M. E. wirken sich solche Anlagen nicht auf die 100 kWp-Grenze aus. Entsprechendes dürfte auch für die Anlagen gelten, die nicht unter den Befreiungstatbestand nach § 3 Nr. 72 EStG fallen (z. B. Freilandanlagen).

  • Umfang der Steuerfreiheit
  • 3 Nr. 72 Satz 1 EStG stellt die Einnahmen und Entnahmen steuerfrei. Auf die Verwendung des produzierten Stroms kommt es nicht an, so dass auch Mieterstrom unter die Steuerfreiheit fällt.

Entscheidend ist also, ob ein Veranlassungszusammenhang mit dem Betrieb besteht. Dies umfasst insbesondere:

  • Einspeisevergütung,
  • Entnahmen aus dem Verbrauch des erzeugten Stroms im privaten Bereich,
  • Einnahmen aus der Weiterlieferung des mit einer PV-Anlage auf einem Vermietungsobjekt erzeugten Stroms an Mieter des Objektes,
  • Einnahmen aus der Selbstvermarktung des Stroms.

Offen ist, ob auch die Einnahmen aus der Anlagenveräußerung unter die neue Befreiung fallen. M. E. ist auch ein Veräußerungsgewinn oder Veräußerungsverlust steuerfrei, weil es sich um den letzten betrieblichen Akt im Zusammenhang mit dem Betreiben der PV-Anlage handelt.

Nach § 3c EStG dürfen Ausgaben, soweit sie mit steuerfreien Einnahmen in unmittelbarem wirtschaftlichen Zusammenhang stehen, nicht als Betriebsausgaben oder Werbungskosten abgezogen werden. Ausgaben, die zugleich steuerfreie und steuerpflichtige Einnahmen betreffen, sind – ggf. im Schätzungswege – aufzuteilen und anteilig abzuziehen.

Praxishinweis

  • 3 Nr. 72 Satz 2 EStG bestimmt, dass kein Gewinn zu ermitteln ist, sofern die erzielten Einnahmen insgesamt steuerfrei sind. Sofern im VZ 2022 noch Aufwendungen anfallen, die sich auf ein steuerpflichtiges Veranlagungsjahr beziehen, dürfte kein Kostenabzugsverbot eintreten. Es fehlt an dem Zusammenhang mit steuerfreien Einnahmen. Danach könnte als Betriebsausgaben im VZ 2022 noch die für 2021 gezahlte Umsatzsteuer abziehbar sein. Gleiches gilt für in 2022 gezahlte Reparaturkosten, sofern die Reparatur in 2021 oder früher durchgeführt wurde. Eine Stellungnahme der Finanzverwaltung bleibt abzuwarten.

Problematisch erweist sich der Fall, in dem eine ansonsten begünstigte PV-Anlage vorliegt, der produzierte Strom aber ganz oder zum Teil im eigenen Betrieb genutzt wird. M. E. erstreckt sich die Befreiungsregelung des § 3 Nr. 72 EStG nicht auf den im eigenen Betrieb genutzten Strom, da es sich bei dieser „Eigennutzung“ um Aufwand und nicht um eine „Einnahme“ oder „Entnahme“ handelt. Voraussetzung dürfte hierfür aber sein, dass die PV-Anlage auch dem gewerblichen oder freiberuflichen Betrieb zuzurechnen ist und es sich nicht um zwei voneinander getrennt bestehende Gewerbebetriebe handelt.[5] Durch eine mindestens 10 %ige Nutzung des von der PV-Anlage produzierten Stroms und deren Aktivierung dürfte von einem einheitlichen Gewerbebetrieb auszugehen sein.[6]

Eine Stellungnahme der Finanzverwaltung bleibt abzuwarten.

Ungeklärt ist gegenwärtig, wie sich die Steuerfreiheit nach § 3 Nr. 72 EStG auf die Bildung und Auflösung eines IAB auswirkt. Hier ist mit einer Stellungnahme der Finanzverwaltung zu rechnen. Bedeutsam ist insbesondere, ob die vor 2022 gebildeten IAB auf eine ab 2022 begünstigte PV-Anlage übertragen werden können und ob der IAB-Auflösungsgewinn unter die Steuerfreiheit gem. § 3 Nr. 72 EStG fällt.

  • Befreiung von der Gewinnermittlung

Werden in einem Betrieb nur steuerfreie Einnahmen aus dem Betrieb von begünstigten Photovoltaikanlagen erzielt, braucht kein Gewinn ermittelt und folglich auch keine Anlage EÜR abgegeben zu werden.

Praxishinweis

Problematisch erweist sich die Befreiung von der Gewinnermittlung, sofern die begünstigte PV-Anlage einer Kapitalgesellschaft zuzurechnen ist. Dann dürfte die lediglich steuerrechtlich (nicht handelsrechtlich) geltende Steuerfreiheit nach § 3 Nr. 72 EStG außerbilanziell darzustellen sein.

  • Ausschluss der Abfärbung nach § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG

Nach § 3 Nr. 72 EStG soll durch das Betreiben steuerfreier PV-Anlagen keine Abfärbung nach § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG ausgelöst werden.

Wortlaut § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG

„Als Gewerbebetrieb gilt stets und in vollem Umfang die mit Einkünfteerzielungsabsicht unternommene Tätigkeit

  1. einer offenen Handelsgesellschaft,
  2. einer Kommanditgesellschaft oder
  3. einer anderen Personengesellschaft,

wenn die Gesellschaft auch eine Tätigkeit im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 1 ausübt oder gewerbliche Einkünfte im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 1 bezieht. Dies gilt unabhängig davon, ob aus der Tätigkeit im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 1 ein Gewinn oder Verlust erzielt wird und ob die gewerblichen Einkünfte im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 2 positiv oder negativ sind; …“

Praxishinweis

Die Ergänzung von § 15 Abs. 3 Nr. 1 S. 2 EStG war eine Reaktion des Gesetzgebers[7] auf unliebsame BFH-Rechtsprechung. Nach der Übergangsvorschrift in § 52 Abs. 23 S. 1 EStG ist diese Fassung auch für VZ vor 2019 anzuwenden.

Denn nach der Entscheidung des BFH vom 12.4.2018[8] sollten Verluste aus einer gewerblichen Tätigkeit nicht zu einer Abfärbung führen. Diese Rechtsprechung hat der BFH schon nach kurzer Zeit wieder aufgegeben.[9]

Gerade auch bei Beantwortung der Frage, ob eine vermögensverwaltende PersG Einkünfte aus VuV oder gewerbliche Einkünfte erzielt, kommt der Regelung in § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG eine besondere Bedeutung zu.

Der BFH[10] hat sich zur Frage geäußert, ob Verluste aus einer gewerblichen Tätigkeit bei Überschreitung der sog. Bagatellgrenze zu einer Umqualifizierung der ansonsten vermögensverwaltenden Tätigkeit führen.

Der zu entscheidende Sachverhalt verhielt sich – vereinfacht dargestellt – wie folgt:

  • Die Klägerin ist eine vermögensverwaltende GbR.
  • Sie erzielte negative Einkünfte aus VuV von rd. 20.000 €.
  • Daneben erzielte die GbR negative Einkünfte aus dem Betreiben einer Photovoltaikanlage von rd. 7.000 €.
  • Die Gesamtnettoumsätze betrugen im Streitjahr rd. 100.000 €; davon entfielen auf den Betrieb der Photovoltaikanlage rd. 8.500 €.
  • Das FA vertrat die Auffassung, dass insgesamt Einkünfte aus Gewerbebetrieb erzielt werden, weil
    • ein einheitlicher Gewerbebetrieb vorlag und
    • die gewerblichen Einkünfte eine Infizierung sämtlicher Einkünfte auslöst.

Dieser Auffassung schloss sich der BFH an. Der BFH stellte zunächst fest, dass es sich um eine einheitliche Gesellschaft und nicht um zwei einzelne Gesellschaften handelte.

Zwei Gesellschaften liegen nur dann vor, wenn diese nach außen erkennbar sind. Beweisanzeichen hierfür sind u.a. getrennte Bankkonten, getrennte Kassen, verschiedene Rechnungsvordrucke, eigenständige Buchhaltungen, getrennte Ergebnisermittlungen und zwei Steuernummern für die Feststellungserklärung.

Im Entscheidungsfall sprachen die Beweisanzeichen gegen zwei getrennte Gesellschaften.

  • Alle Verträge im Zusammenhang mit der Anschaffung, Finanzierung und dem Betrieb der Photovoltaikanlage wurden unter dem Namen der Klägerin abgeschlossen.
  • Die aufgenommenen Darlehen wurden über ein gemeinsames Bankkonto der Klägerin abgewickelt.
  • Die steuerlichen Ergebnisse wurden zwar für die beiden Tätigkeiten getrennt gegenüber dem FA vorgelegt; sie entwickelten sich aber aus einer einheitlichen Buchhaltung.
  • Zudem wurde ein gemeinsames Anlagenverzeichnis geführt und die Feststellungserklärung beider Tätigkeiten wurde unter einer Steuernummer geführt.
  • In der einheitlichen Feststellungserklärung wurden Einkünfte aus Gewerbebetrieb und Einkünfte aus VuV angegeben.
  • Zu einer in der Gestaltungsberatung empfohlenen wirksamen Auslagerung der gewerblichen Tätigkeit auf eine zweite Gesellschaft (zum Ausgliederungsmodell[11]) kam es folglich nicht.
  • Zudem werden in dem Entscheidungsfall gewerbliche Einkünfte erzielt. Der BFH hat im Einklang mit der bisherigen Rechtsprechung entschieden, dass es zu einer gewerblichen Abfärbung nur dann kommt, wenn die originär gewerblichen Einkünfte eine sog. Bagatellgrenze überschreiten.

Eine die umqualifizierende Wirkung nicht auslösende gewerbliche Tätigkeit von äußerst geringem Ausmaß ist nach Auffassung des BFH gegeben, wenn die originär gewerblichen Nettoumsatzerlöse

  • 3 % der Gesamtnettoumsätze (relative Grenze) der Personengesellschaft
    und
  • zugleich den Höchstbetrag von 24.500 € im Feststellungszeitraum (absolute Grenze)

nicht übersteigen.[12]

Praxishinweis

Entgegen der bisherigen Rechtsprechung kommt es nach der neuen Auffassung des BFH nicht darauf an, ob aus der gewerblichen Tätigkeit ein Gewinn oder Verlust erzielt wird.[13] In der Fachliteratur wurde teilweise die Auffassung vertreten, dass für die Anwendung der Bagatellgrenze kein Raum mehr bleibe, weil der Gesetzgeber diese Bagatellgrenze mit dem Gesetz zur weiteren steuerlichen Förderung der Elektromobilität und zur Änderung weiterer Vorschriften v. 12.12.2019[14] nicht im EStG normiert habe.[15] Dem hat sich der BFH auch in Bezug auf die seit Ende 2019 geltende Rechtslage nicht angeschlossen. Die Bagatellgrenze gilt als ungeschriebenes Gesetzestatbestandsmerkmal weiterhin (so auch Gesetzesbegründung zum Gesetz zur weiteren steuerlichen Förderung der Elektromobilität und zur Änderung weiterer Vorschriften: BT-Drucks. 19/13436, 96). Eine im Hinblick auf eine Änderung im GewStG[16] geforderte Anhebung der relativen Grenze auf 10 % der Gesamtnettoerlöse bzw. die Aufgabe der relativen Grenze hat sich nicht durchgesetzt.

Berechnung

Gesamtnettoerlöse 100.000 € 100,00 %
Gewerbliche Erlöse     8.500 €       8,50 %

Im Entscheidungsfall kam es folglich zu einer Abfärbung.

Praxishinweis

Sollte in Bezug auf das Betreiben der Photovoltaikanlage keine Gewinnerzielungsabsicht[17] vorliegen, dürfte sich keine Abfärbung ergeben. Denn es werden keine gewerblichen Einkünfte erzielt. Dies gilt auch weiterhin, sofern die Steuerfreiheit nach § 3 Nr. 72 EStG nicht zur Anwendung kommt.

Sofern ab 2022 das Betreiben der Photovoltaikanlage nach Maßgabe von
§ 3 Nr. 72 EStG steuerfrei ist, scheidet die Abfärbung aus. Die Bildung einer zweiten nach außen hin erkennbaren Gesellschaft ist bei Anwendung der Steuerfreiheit nach § 3 Nr. 72 EStG nicht mehr erforderlich. Dann könnte sich m. E. auch keine Steuerfalle bei der erweiterten Gewerbesteuerkürzung wegen der Beteiligung an einer zweiten Personengesellschaft nach § 9 Nr. 1 Satz 5 Nr. 1 GewStG ergeben.[18]

Verliert eine gewerblich geprägte PersG ihre bisherige gewerbliche Prägung, liegt nach Auffassung des BFH eine Betriebsaufgabe vor.[19] Es bleibt abzuwarten, ob die Finanzverwaltung alleine wegen § 3 Nr. 72 EStG zwingend von einer Betriebsaufgabe ausgehen wird.

 

[1] BMF-Schr. v. 29.10.2021 – BStBl I 2021, 2202

[2] BMF-Schr. v. 29.10.2021 – BStBl I 2021, 2202

[3] z.B. zeitweise Überlassung einzelner Räume während Messezeiten über Airbnb

[4] BMF-Schr. v. 29.10.2021 – BStBl I 2021, 2202

[5] Siehe auch BFH-Urt. v. 24.10.2012 – X R 36/10, BFH/NV 2013, 252

[6] Siehe auch LfSt Nds. v. 31.7.2019 – S 2240-160-St 221/St 222, juris

[7] Gesetz zur weiteren steuerlichen Förderung der Elektromobilität und zur Änderung
weiterer steuerlicher Vorschriften v. 12.12.2019, BGBl I 2019, 2451

[8] BFH-Urt. v. 12.4.2018 – IV R 5/15, BStBl II 2020, 118

[9] BFH-Urt. v. 30.6.2022 – IV R 42/19, DStR 2022, 2259

[10] BFH-Urt. v. 30.6.2022 – IV R 42/19, DStR 2022, 2259

[11] BFH-Urt. v. 19.2.1998 – IV R 11/97, BStBl II 1998, 603 m.w.N.

[12] s.a. H 15.8 Abs. 5 EStH „Bagatellgrenze“, vgl. dazu LfSt Nds. v. 7.11.2022 – S 2240 –
St 222 / St 221-2473/2022, Juris

[13] anders noch BFH-Urt. v. 12.4.2018 – IV R 5/15, BStBl II 2020, 118

[14] BGBl I 2019, 2451

[15] Keß, FR 2022, 480

[16] siehe § 9 Nr. 1 S. 3 Buchst. b GewStG; Gleichlautende Erlasse der Länder v.
17.6.2022, BStBl I 2022, 958

[17] siehe auch BMF-Schr. v. 29.10.2021 – IV C 6 – S 2240/19/10006:006, BStBl I 2021,
2202

[18] Weitergehend Bodden, BeSt 1/2023 Anm. 3

[19] BFH-Urt. v. 22.2.2021 – IX R 13/19, BFH/NV 2021, 1169