Rechtslage bis 2017

Bei Antragsstellung bis Ende 2017 wurde Kindergeld rückwirkend mit Wirkung für weit vor dem Antrag liegende Zeiträume gezahlt. Eine zeitliche Begrenzung ergab sich lediglich durch die Regelung der Festsetzungsverjährung.[1]

 

 

Rechtslage ab 2018 bis Antragsstellung vor dem 18. Juli 2019

Für Kindergeldanträge, die seit dem 1. Januar 2018 und vor dem 18. Juli 2019 gestellt wurden, hatte sich eine gesetzliche Einschränkung durch Einführung eines § 66 Abs. 3 EStG ergeben. Danach galt Folgendes:

Das Kindergeld wird rückwirkend nur für die letzten sechs Monate vor Beginn des Monats gezahlt, in dem der Antrag auf Kindergeld eingegangen ist.

Diese gesetzliche Regelung galt für Anträge, die vor dem 18. Juli 2019 eingereicht wurden.[2]

 

Praxishinweis

Gegen diese Regelung sind zahlreiche Verfahren vor dem BFH anhängig. Fraglich ist, ob die Familienkassen die Auszahlung von rechtskräftig festgesetztem Kindergeld mit Verweis auf die in § 66
Abs. 3 EStG normierte Regelung verweigern können. Nach den bisherigen Entscheidungen der Finanzgerichte steht § 66 Abs. 3 EStG der Auszahlung des festgesetzten Kindergeldes nicht entgegen.[3]

 

 

Rechtslage bei Antragsstellung nach dem 18. Juli 2019

Wegen der Streitanfälligkeit der seit 2018 geltenden gesetzlichen Regelung hat der Gesetzgeber durch das Gesetz gegen illegale Beschäftigung und Sozialleistungsmissbrauch vom 11. Juli 2019[4] die bisherige Regelung in § 66 Abs. 3 EStG aufgehoben.

Gleichzeitig hat der Gesetzgeber diese Begrenzung mit Wirkung für Anträge, die nach dem 18. Juli 2019 eingehen[5], durch § 70 Abs. 1 Satz 2 EStG neu gefasst. § 70 Abs. 1 EStG bestimmt Folgendes:

  • 70 EStG – Festsetzung und Zahlung des Kindergeldes
  • 1Das Kindergeld nach § 62 wird von den Familienkassen durch Bescheid festgesetzt und ausgezahlt. 2Die Auszahlung von festgesetztem Kindergeld erfolgt rückwirkend nur für die letzten sechs Monate vor Beginn des Monats, in dem der Antrag auf Kindergeld eingegangen ist.3Der Anspruch auf Kindergeld nach § 62 bleibt von dieser Auszahlungsbeschränkung unberührt.

 

Praxishinweis

Die bisherige Regelung in § 66 Abs. 3 EStG a. F. ist anzuwenden auf Anträge, die vor dem 18. Juli 2019 eingereicht wurden.[6] Die sich aus § 70 Abs. 1 Satz 2 EStG ergebende Neuregelung ist aber erst auf Anträge anzuwenden, die nach dem 18. Juli 2019 eingehen.[7] Für Antragsstellungen am 18. Juli 2019 existiert eine Regelungslücke. Es bleibt abzuwarten, welche Entscheidung ein Finanzgericht zu diesen sicherlich seltenen Fällen treffen wird. M. E. müsste bei den Antragsstellungen an diesem Tag ein Kindergeldanspruch ohne Berücksichtigung einer 6-Monatsfrist – unabhängig vom Ausgang der anhängigen Revisionsverfahren – zugelassen werden.

Nach § 70 Abs. 1 Satz 2 EStG bleibt der Anspruch auf Kindergeld durch die 6-Monats-Frist als solcher unberührt. Stattdessen stellt nach § 70 Abs. 1 Satz 2 EStG die Fristversäumnis lediglich ein Auszahlungshindernis für weiter als 6 Monate zurückliegende Zeiträume dar. Der Gesetzgeber will damit klarstellen, dass die Regelung das Erhebungsverfahren betrifft und keine Auswirkung auf das Festsetzungsverfahren hat.[8] Es bleibt abzuwarten, wie die Rechtsprechung die gesetzliche Neuregelung beurteilen wird. Zumindest den bisherigen Entscheidungen der Finanzgerichte wurde für die Anträge, die ab dem 19. Juli 2019 gestellt werden, der Boden entzogen.

 

 

Günstigerprüfung und § 66 Abs. 3 EStG bzw. § 70 Abs. 1 Satz 2 EStG

 

Grundsätzliches

Im Rahmen der einkommensteuerlichen Günstigerprüfung des Familienleistungsausgleichs nach § 31 EStG werden Kindergeldansprüche der festzusetzenden Einkommensteuer hinzugerechnet.

Nach der bisherigen Fassung von § 31 Satz 4 EStG richtete sich die Erhöhung der tariflichen Einkommensteuer nach dem Anspruch auf Kindergeld für den gesamten Veranlagungszeitraum. § 2 Abs. 6 Satz 3 EStG a.F. lautete entsprechend.

 

Gesetzliche Neuregelung

  • 31 EStG und § 2 Abs. 6 EStG wurden mit Wirkung zum 18. Juli 2019 durch das Gesetz gegen illegale Beschäftigung und Sozialleistungsmissbrauch vom 11. Juli 2019[9] neu gefasst.
  • 31 Satz 5 EStG hat nunmehr folgenden Wortlaut:

5Bei der Prüfung der Steuerfreistellung und der Hinzurechnung nach (§ 31) Satz 4 (EStG) bleibt der Anspruch auf Kindergeld für Kalendermonate unberücksichtigt, in denen durch Bescheid der Familienkasse ein Anspruch auf Kindergeld festgesetzt, aber wegen § 70 Absatz 1 Satz 2 (EStG) nicht ausgezahlt wurde.

 

Praxishinweis

Die Günstigerprüfung ist gesetzlich ausgeschlossen, sofern die Neuregelung zum Kindergeld nach
§ 70 Abs. 1 Satz 2 EStG zur Anwendung kommt. Folglich wird Kindergeld bei Antragsstellung nach dem
18. Juli 2019 im Rahmen der Einkommensteuer nunmehr nur noch dann hinzugerechnet und die Günstigerprüfung angewandt, sofern das Kindergeld tatsächlich zur Auszahlung kam. Sollte es nicht zu einer Auszahlung des Kindergeldes und folglich nicht zur Anwendung der Günstigerprüfung kommen, stellt sich die Frage, ob die Eltern Unterhaltsaufwendungen nach Maßgabe von § 33a Abs. 1 EStG geltend machen können. Vom Gesetzeswortlaut her scheitert ein Abzug an dem existierenden Anspruch auf Kindergeld, wenngleich mangels Auszahlung kein Anspruch auf Kinderfreibetrag besteht. Es bleibt abzuwarten, ob sich die Rechtsprechung dieser Sichtweise anschließen wird.

 

Günstigerprüfung in Altfällen (während der Gültigkeit des § 66 Abs. 3 EStG a.F.)

In der früheren Rechtslage des § 66 Abs. 3 EStG a.F. ist die Günstigerprüfung kraft Gesetz nicht ausgeschlossen. Der Anspruch auf Kindergeld ist für den gesamten Veranlagungszeitraum sowohl in die Günstigerprüfung des Familienleistungsausgleichs als auch bei der Hinzurechnung des Kindergeldes zur Einkommensteuer einzubeziehen, obwohl die Auszahlung des Kindergeldes aufgrund des § 66 Abs. 3 EStG a.F. ggf. nicht im Umfang des Anspruchs auf Kindergeld erfolgt ist.

Gegenwärtig ist streitig, ob die 6-Monats-Begrenzung durch § 66 Abs. 3 EStG a.F. nur für das (kindergeldrechtliche) Erhebungsverfahren gilt oder bereits für das (kindergeldrechtliche) Festsetzungsverfahren. Dazu sind diverse Revisionsverfahren anhängig.[10]

Bestätigt der BFH die Rechtsauffassung der jeweiligen Vorinstanz, schließt sich die Frage an, in welchem Umfang die Hinzurechnung des Kindergeldanspruchs im Rahmen des
§ 31 EStG i.V.m. § 2 Abs. 6 Satz 3 EStG (Günstigerprüfung) erfolgen soll.

 

Praxishinweis

Gegen die Berücksichtigung des vollen Anspruchs auf Kindergeld – trotz Nichtauszahlung – sind bereits Gerichtsverfahren beim Hessischen Finanzgericht (Az. 2 K 1471/18), dem FG Münster (Az. 6 K 1135/18 E) und dem FG Köln (Az. 11 K 2066/18) anhängig. Vergleichbare Rechtsbehelfe, die sich auf die Höhe der Hinzurechnung des Kindergeldes zur Einkommensteuer i.S.d. § 31 EStG beziehen, dürften aus Zweckmäßigkeitsgründen ruhen.[11] Zur Begründung sollte der jeweilige ablehnende Kindergeldbescheid der Familienkasse einzureichen sein.

 

 

[1] § 169 AO

[2] § 52 Abs. 49a Satz 8 EStG

[3] Niedersächsisches FG, Urt. v. 25.9.2018 – 8 K 95/18, Rev. eingelegt, Az. des BFH: III R 70/18; FG Düsseldorf, Urt. v. 10.4.2019 – 10 K 3589/18 Kg, juris, Rev. eingelegt, Az. des BFH: III R 33/19

[4] BGBl I 2019, 1066 = BStBl I 2019, 814

[5] § 52 Abs. 50 EStG, BZSt v. 15.8.2019 – BStBl I 2019, 846 unter zu III.

[6] § 52 Abs. 49a Satz 8 EStG

[7] § 52 Abs. 50 Satz 1 EStG

[8] BZSt v. 15.8.2019 – BStBl I 2019, 846

[9] BGBl I 2019, 1066 = BStBl I 2019, 814

[10] Siehe vorherige Ausführungen

[11] § 363 Abs. 2 Satz 1 AO

 

 

Stand: 27.11.2019[/vc_column_text][/vc_column][/vc_row]