BFH: Ansatz der üblichen Miete als Rohertrag anstelle des vertraglich vereinbarten Entgelts
Der für die Bewertung im Ertragswertverfahren maßgebliche Rohertrag eines bebauten Grundstücks ist grundsätzlich das Entgelt, das für die Benutzung nach den vertraglichen Vereinbarungen als Miete zu zahlen ist. Eine vertraglich vereinbarte Miete kann nicht mehr als üblich angesehen werden, wenn sie mehr als 20 % niedriger ist als der unterste Wert der Spanne des verwendeten Mietspiegels oder wenn sie mehr als 20 % höher ist als der oberste Wert der Spanne. Auf den Mittelwert kommt es insoweit nicht an.
Sachverhalt:
Der Kläger ist Erbe seiner verstorbenen Mutter. Zum Nachlass gehörte u.a. ein bebautes Grundstück (14 Wohnungen und eine Gewerbeeinheit). Zur Ermittlung des Gebäudeertragswerts nach § 185 BewG setzte der Kläger einen jährlichen Rohertrag i.S.d. § 186 BewG von 110.160 € an. Dabei ging er für vier Einheiten von den vertraglich vereinbarten Nettokaltmieten aus, legt jedoch für elf Einheiten die in dem Mietspiegel ausgewiesenen Mittelwerte zugrunde. Die tatsächlich gezahlte Miete überstieg diese Mittelwerte um mehr als 20 %.
Das FA ging von einem höheren Rohertrag aus. Es setzte im Rahmen der Frage, ob die tatsächliche Miete um mehr als 20 % von der üblichen Miete abweicht (vgl. § 186 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BewG), als „übliche Miete“ nicht den Mittelwert, sondern den obersten Wert der im Mietspiegel ausgewiesenen Spanne an. Somit kam das FA nur bei zwei vermieteten Einheiten zu Abweichungen der tatsächlichen von der üblichen Miete um mehr als 20 %, für die es den Mittelwert des Mietspiegels ansetzte. Im Übrigen setzte es die höhere vertraglich vereinbarte Miete an. Die hiergegen gerichtete Klage hatte keinen Erfolg.
Entscheidung des BFH:
Der BFH wies die Revision als unbegründet zurück. Das FG hat zu Recht entschieden, dass für die Prüfung der 20 %-Grenze i.S. des § 186 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BewG bei Zugrundelegung eines Mietspiegels auf den untersten oder obersten Wert der darin ausgewiesenen Mietpreisspanne abzustellen ist, nicht auf den Mittelwert. D.h. eine Miete, die mehr als 20 % niedriger ist als der untere Wert der Spanne bzw. die mehr als 20 % höher ist als der obere Wert der Spanne, ist nicht mehr ortsüblich (vgl. H B 186.5 ErbstH „Mietspiegel“).
Alle Mietwerte innerhalb der Spannbreite eines Mietspiegels sind als üblich anzusehen. Erst die Überschreitung bzw. Unterschreitung der jeweiligen Grenzwerte führt zur Unüblichkeit. Das entspricht bereits dem allgemeinen Sprachgebrauch, der als „üblich“ dasjenige zu bezeichnen pflegt, das sich „im Rahmen des Üblichen“, also innerhalb einer gewissen Spanne, bewegt. Es entspricht auch dem Zweck der Vorschrift. Sie will unzutreffende Bewertungsergebnisse vermeiden, die sich bei einer ausschließlichen Abhängigkeit des Grundbesitzwerts von einer zufällig oder gezielt vereinbarten tatsächlichen Miete ergäben.
Nach alldem kann nicht auf den Mittelwert abgestellt werden. Denn das könnte zu dem dann denkbaren, aber sinnwidrigen Ergebnis führen, dass ein Mietpreis, der noch innerhalb der Spannbreite des Mietspiegels liegt, wegen einer die 20 %-Grenze überschreitenden Abweichung vom Mittelwert zu einer Verwerfung der vereinbarten Miete führt.
Diese Wertung wird dadurch bestätigt, dass im Steuerrecht auch anderen Orts als übliche Miete jede Miete verstanden wird, die sich innerhalb der in einem Mietspiegel ausgewiesenen Spanne zwischen mehreren Mietwerten bewegt (vgl. BFH, Urteil v. 17.8.2005 – IX R 10/05; BFH, Beschluss v. 27.12.2010 – IX B 107/10).
Wegen des im gerichtlichen Verfahren geltenden Verböserungsverbots kann offenbleiben, ob es zutreffend ist, im Falle einer in dieser Weise ermittelten Überschreitung der 20 %-Grenze den Mittelwert als übliche Miete dem Jahresrohertrag zugrunde zu legen, oder ob insoweit ebenfalls der äußere Spannenwert in Betracht kommt.
BFH-Urt. v. 22.5.2020 – II R 41/16 >>
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