Steuerpflichtige, die als Ehegatten nach §§ 26, 26a EStG einzeln zur Einkommensteuer veranlagt werden, können den Entlastungsbetrag für Alleinerziehende im Jahr der Trennung zeitanteilig in Anspruch nehmen, sofern sie die übrigen Voraussetzungen des § 24b EStG erfüllen, insbesondere nicht in einer Haushaltsgemeinschaft mit einer anderen volljährigen, in § 24b Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 EStG nicht genannten Person leben.
BFH-Urt. v. 28.10.2021 – III R 17/20
Steuerpflichtige, die als Ehegatten nach §§ 26, 26b EStG zusammen zur Einkommensteuer veranlagt werden, können den Entlastungsbetrag für Alleinerziehende im Jahr der Eheschließung (zeitanteilig) in Anspruch nehmen, sofern sie die übrigen Voraussetzungen des § 24b EStG erfüllen, insbesondere nicht in einer Haushaltsgemeinschaft mit einer anderen volljährigen, in § 24b Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 EStG nicht genannten Person leben.
BFH-Urt. v. 28.10.2021 – III R 57/20
Grundsätzliches
Allein stehende Personen können einen Entlastungsbetrag für Alleinerziehende geltend machen, wenn zu ihrem Haushalt mindestens ein Kind gehört, für das ihnen ein Freibetrag für Kinder oder Kindergeld zusteht.
Das den Entlastungsbetrag nach § 24b EStG „auslösende“ Kind kann damit auch volljährig sein. Es muss jedoch für dieses volljährige Kind ein Freibetrag nach § 32 Abs. 6 EStG oder Kindergeld zustehen.
Höhe des Entlastungsbetrags
Der Entlastungsbetrag beträgt bei einem Kind 4.008 EUR[1]; er erhöht sich für jedes weitere Kind um 240 EUR[2]. Es handelt sich um Jahresbeträge, die zeitanteilig zu kürzen sind, sofern die Voraussetzungen des § 24b Abs. 1 EStG in einem vollen Kalendermonat nicht vorlagen (Monatsprinzip).[3]
Sofern das Kind bei mehreren Personen gemeldet ist, steht der Entlastungsbetrag demjenigen zu, der die Voraussetzungen für die Auszahlung des Kindergeldes erfüllt.[4]
Allein stehende Person
In § 24b Abs. 3 EStG definiert der Gesetzgeber den Begriff „Allein stehend“. Allein stehend sind danach Personen, die nicht die Voraussetzungen für die Anwendung des Splitting-Verfahrens[5] erfüllen oder verwitwet sind.
Praxishinweis
Bei verwitweten allein stehenden Personen ist die Anwendung des Splitting-Verfahrens[6] unerheblich.[7] Bislang wird bei verwitweten Alleinerziehenden mit Kindern das Splittingverfahren im Jahr des Todes und dem Folgejahr gewährt. Gefordert wird die Fortführung des Splittingverfahrens zumindest solange wie ein Freibetrag für Kinder oder Kindergeld gewährt wird. Der BFH wird hierüber in einem erneut anhängigen Musterverfahren zu entscheiden haben.[8]
Beispiel
Die Eheleute A und B lebten in 2021 gemeinsam mit der 6 jährigen Tochter in ihrer in Hamburg belegenen Eigentumswohnung. Der Ehemann A verstarb am 30. Juni 2021. Die nunmehr verwitwete B lebt seither gemeinsam mit der Tochter in der Eigentumswohnung. Beide sind mit Hauptwohnsitz in der gemeinsamen Wohnung gemeldet.
Lösung
Der Entlastungsbetrag für Alleinerziehende wird in 2021 für die Monate Juli bis Dezember und 2022 für das komplette Jahr gewährt. Unerheblich hierfür ist, dass im VZ 2021 und 2022 der Splittingtarif zur Anwendung kommt.
Zudem darf die allein stehende Person keine Haushaltsgemeinschaft mit einer anderen volljährigen Person bilden, es sei denn, es steht der allein stehenden Person für die volljährige Person ein Freibetrag nach § 32 Abs. 6 EStG oder Kindergeld zu.[9]
Praxishinweis
Nehmen ansonsten allein stehende Personen i. S. d. § 24b Abs. 3 EStG Flüchtlinge aus der Ukraine auf, stellt sich die Frage nach der zeitanteiligen Versagung von § 24b EStG. Es ist davon auszugehen, dass die Finanzverwaltung im Hinblick auf die humanitäre Katastrophe eine Billigkeitsregelung im Erlasswege bekanntgeben wird, die eine zeitanteilige Versagung nach § 24b Abs. 4 EStG verhindern wird.
Vom BFH entschiedene Rechtsfrage
Der BFH hatte über folgende Frage zu entscheiden:
Sind allein stehende Personen nur diejenigen, die während des gesamten VZ nicht verheiratet bzw. verpartnert sind oder die die verheiratet bzw. verpartnert sind, aber seit mindestens dem vorangegangenen Veranlagungszeitraum dauernd getrennt leben?
BFH-Urteil v. 28.10.2021 – III R 17/20
Sachverhalt
Der Kläger ist Vater zweier Kinder, die im Streitjahr 2017 minderjährig waren. Die damalige Ehefrau des Klägers und Mutter der Kinder zog im April 2017 aus dem gemeinsamen Haushalt aus, der Kläger lebte danach allein mit seinen beiden Kindern.
Der Kläger beantragte in seiner ESt-Erklärung 2017 die zeitanteilige Berücksichtigung des Entlastungsbetrages für Alleinerziehende sowie des Erhöhungsbetrages für ein weiteres Kind in Höhe von insgesamt 1.432 EUR (8/12 der Summe von 1.908 EUR und 240 EUR).
Er wurde im VZ 2017 einzeln veranlagt. Das Finanzamt berücksichtigte den Entlastungsbetrag für Alleinerziehende nicht.
Gegen den ESt-Bescheid 2017 legte der Kläger form- und fristgerecht Einspruch ein. Das Finanzamt wies den Einspruch als unbegründet zurück.
Das Nds. FG[10] gewährte demgegenüber zeitanteilig den Entlastungsbetrag nach
§ 24b EStG u. a., weil der Kläger im Trennungsjahr die Einzelveranlagung wählte.
Entscheidung und Begründung
Der BFH wies die vom FA eingelegte Revision als unbegründet zurück.
- Der Entlastungsbetrag nach Maßgabe von § 24b EStG kann im Trennungsjahr zeitanteilig für die Monate berücksichtigt werden, in denen eine allein stehende Person vorliegt.
- Bei dem Entlastungsbetrag nach § 24b EStG handelt es sich um einen Freibetrag, der nach dem Monatsprinzip[11] auch bei Trennung zeitanteilig berücksichtigt werden kann.
- Nach Trennung im Laufe eines VZ kann eine Erziehungsgemeinschaft vorliegen.
- Das Monatsprinzip nach § 24b Abs. 4 EStG hat Vorrang vor der Möglichkeit, im Trennungsjahr für den gesamten VZ das Splittingverfahren beantragen zu können.
- Unerheblich ist, ob die Einzelveranlagung oder die Zusammenveranlagung von Ehegatten im Trennungsjahr gewählt wird.
BFH-Urteil vom 28.10.2021 – III R 57/20
Sachverhalt
Die Kläger sind seit Dezember 2015 miteinander verheiratet. Sie leben seit diesem Tag zusammen. Der Kläger ist Vater eines im Streitjahr 2015
22-jährigen, studierenden Sohnes, mit dem er bis zur Eheschließung allein lebte. Die Klägerin ist Mutter einer im Streitjahr 20-jährigen, gleichfalls studierenden Tochter und lebte mit dieser bis zur Heirat allein in einem eigenen Haushalt. Für die jeweiligen Kinder wurde im Streitjahr Kindergeld gewährt.
Die Kläger wählten im Streitjahr die Zusammenveranlagung und beantragten u. a. die Gewährung zweier Entlastungsbeträge für Alleinerziehende.
Das FA gewährte die Entlastungsbeträge nicht. Die Klage hiergegen wurde als unbegründet zurückgewiesen.[12]
Entscheidung und Begründung
Der BFH gab der von den Klägern eingelegten Revision statt.
- Der Entlastungsbetrag nach Maßgabe von § 24b EStG kann im Hochzeitsjahr zeitanteilig für die Monate berücksichtigt werden, in denen eine allein stehende Person vorliegt.
- Bei dem Entlastungsbetrag nach § 24b EStG handelt es sich um einen Freibetrag, der nach dem Monatsprinzip[13] auch bei erstmaliger Begründung der Voraussetzungen für eine Zusammenveranlagung zeitanteilig berücksichtigt werden kann.
- Bis zur Hochzeit im Laufe eines VZ kann eine Erziehungsgemeinschaft beim jeweiligen Elternteil vorliegen.
- Das Monatsprinzip nach § 24b Abs. 4 EStG hat Vorrang vor der Möglichkeit, im Hochzeitsjahr für den gesamten VZ das Splittingverfahren beantragen zu können.
- Unerheblich ist insoweit auch, ob im Hochzeitsjahr die Einzelveranlagung oder die Zusammenveranlagung von Ehegatten tatsächlich gewählt wird.
Anmerkungen
Die BFH-Entscheidungen widersprechen der bisherigen Verwaltungsauffassung.[14]
Die Entscheidungen erweitern den Kreis der nach § 24b EStG begünstigten allein stehenden Personen in den Fällen, in denen eine Trennung oder eine Hochzeit im Laufe eines Jahres stattfindet.
In beiden Fällen darf aber nach der Trennung bzw. bis zur Hochzeit keine Haushaltsgemeinschaft mit einer anderen entlastungsschädlichen Person geführt werden.
Die Begründung des BFH ist überzeugend, stellt sie doch vorrangig auf das Monatsprinzip nach § 24b Abs. 4 EStG ab.
Die ganzjährige Gewährung bzw. die ganzjährige Gewährungsmöglichkeit des Splitting-Verfahrens wird als nachrangig zu § 24b Abs. 4 EStG erachtet.
Praxishinweis
Nach Trennung liegen alleinerziehende Personen nach Maßgabe von § 24b Abs. 3 EStG vor, weil sie die alleinige Verantwortung für Haushalt und Kinder tragen und die damit verbundenen Belastungen übernehmen (Erziehungsgemeinschaft).
Anzuwenden ist diese neue BFH-Rechtsprechung in allen noch offenen Fällen. Offen ist gegenwärtig, wie die FinVerw. auf diese unliebsame Rechtsprechung reagieren wird. Gleichwohl sind Steuerberater zur Haftungsvermeidung gut beraten, sich auf diese höchstrichterliche Rechtsprechung bereits vor einer amtlichen Veröffentlichung der Entscheidungen zu berufen. Bis dahin wird die FinVerw. die Bearbeitung von Einsprüchen bzw. Änderungsanträgen zurückstellen.
[1] § 24b Abs. 2 Satz 1 EStG
[2] § 24b Abs. 2 Satz 2 EStG
[3] § 24b Abs. 4 EStG
[4] § 24b Abs. 1 Satz 3 EStG
[5] § 26 Abs. 1 EStG
[6] § 32a Abs. 6 Satz 1 Nr. 1 EStG
[7] BMF-Schr. v. 23.10.2017 – IV C 8-S 2265-a/14/10005, BStBl I 2017, 1432 Rz. 6
[8] Sächsisches FG, Urt. v. 9.11.2020 – 1 K 1869/18, EFG 2021, 463, Rev. eingelegt, Az. des BFH: VIII R 32/20; siehe auch Steiner in Lademann, EStG-Komm., § 24b Rz. 8
[9] BMF-Schr. v. 23.10.2017 – IV C 8-S 2265-a/14/10005, BStBl I 2017, 1432 Rz. 7 bis 16
[10] Nds. FG, Urt. v. 18.2.2020 – 13 K 182/19, EFG 2020, 1664
[11] § 24b Abs. 4 EStG
[12] FG München, Urteil v. 27.11.2020 – 9 K 3275/18, EFG 2021, 278
[13] § 24b Abs. 4 EStG
[14] BMF-Schr. v. 23.10.2017 – IV C 8-S 2265-a/14/10005, BStBl I 2017, 1432