Mit Zwischengerichtsbescheid vom 14. April 2023 – 9 K 10/23 hat der 9. Senat des Niedersächsischen Finanzgerichts entschieden, dass eine am 9. Februar 2023 von der Steuerberaterin der Kläger per Telefax übermittelte Klage formwirksam erhoben worden ist, obwohl die Steuerberaterin ihren „Registrierungsbrief“ mit den Zugangsdaten für das sog. besondere elektronische Steuerberaterpostfach (beSt) bereits am 5. Januar 2023 erhalten hatte.
Denn eine aktive Nutzungspflicht des beSt (§ 52d Satz 2 i.V.m. Satz 1 der Finanzgerichtsordnung – FGO – i.V.m. § 52a Abs. 4 Nr. 2 FGO i.V.m. § 86d Abs. 1 Satz 1 des Steuerberatungsgesetzes – StBerG) besteht nach der Entscheidung des 9. Senats erst mit Abschluss des erstmaligen „System-Roll-outs“ des beSt. Hierbei erscheine es angemessen, auf den Zeitpunkt der Versendung der „letzten“ Registrierungsbriefe im Rahmen des erstmaligen System-Roll-outs zuzüglich einer angemessenen Frist zur unverzüglichen technischen Einrichtung des beSt abzustellen. Erst mit Abschluss des erstmaligen „System-Roll-outs“ stehe der sichere Übertragungsweg „zur Verfügung“ (§ 52d Satz 2 FGO).
Damit tritt die Entscheidung des 9. Senats der im Gerichtsbescheid vom 7. Senat des Niedersächsischen Finanzgerichts vom 20. März 2023 – 7 K 183/22 (ebenso wie der von dem Bundesfinanzhof mit zwischenzeitlich ergangenem Beschluss vom 28. April 2023 – IX B 101/22 ) vertretenen Auffassung entgegen.
Der 9. Senat begründet dies mit der Gesetzessystematik der betroffenen Regelungen § 52d Satz 2 i.V.m. Satz 1 FGO, § 52a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 FGO und § 86d Abs. 1 Satz 1 (i.V.m. § 157e) StBerG sowie mit verfassungsrechtlichen (d.h. grundrechtlichen) Erwägungen.
Wie auch das obiter dictum des Hessischen Finanzgerichts in seinem Beschluss vom 21. März 2023 – 10 V 67/23 (und der zwischenzeitlich veröffentlichte Zwischengerichtsbescheid des Finanzgerichts Münster ebenfalls vom 14. April 2023 – 7 K 86/23 E ) zieht auch die Entscheidung des 9. Senats eine Verbindung zwischen dem „Zur-Verfügung-Stehen“ im Sinne des § 52d Satz 2 FGO und der gesetzlichen Verpflichtung der Bundessteuerberaterkammer zur Einrichtung des beSt. Anders als das Hessische Finanzgericht und das Finanzgericht Münster unterscheidet der 9. Senat des Niedersächsischen Finanzgerichts dabei jedoch begrifflich zwischen der „Errichtung“ des elektronischen Postfachs im Sinne des von § 52d Satz 2 FGO in Bezug genommenen § 52a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 FGO und der „Einrichtung“ des beSt im Sinne des § 86d Abs. 1 Satz 1 StBerG. Dementsprechend versteht er das Tatbestandsmerkmal des „Zur-Verfügung-Stehens“ nicht personen-, sondern infrastrukturbezogen. Zur Begründung führt der 9. Senat neben einem Verweis auf die Gesetzessystematik u.a. an, dass eine derart verstandene Auslegung des Tatbestandsmerkmals des „Zur-Verfügung-Stehens“ dem auf Förderung der Prozessökonomie gerichteten Gesetzeszweck besser entspreche.
Ähnlich wie auch das Finanzgericht Münster hält der 9. Senat das sog. „Fast Lane“-Verfahren für ungeeignet, um eine frühere, bereits mit Ablauf des 31. Dezember 2022 beginnende aktive Nutzungspflicht zu begründen. Der (künftig) Nutzungsverpflichtete habe die mit der Einrichtung und Nutzungspflicht des besonderen elektronischen Steuerberaterpostfachs einhergehenden Beschränkungen seiner Freiheit zu dulden. Ihn treffe indes – insbesondere ohne entsprechende gesetzliche Grundlage – keine Obliegenheit, sich an dessen Einrichtung abweichend von der diesbezüglich gesetzlich geregelten Aufgabenverteilung durch einen Antrag im „Fast Lane“-Verfahren zu beteiligen.
Mangels Entscheidungserheblichkeit im konkreten Fall konnte der 9. Senat offenlassen, ob die Frist zur unverzüglichen technischen Einrichtung des beSt unter Heranziehung des Rechtsgedankens aus § 56 Abs. 2 FGO mit zwei Wochen zu bemessen ist, die „Errichtung“ des beSt damit mit Ablauf des 31. März 2023 abgeschlossen ist und der „sichere Übermittlungsweg“ seit diesem Zeitpunkt auch „zur Verfügung“ steht.
Gegen den Zwischengerichtbescheid wurde Revision bei dem Bundesfinanzhof eingelegt.