Durch das Gesetz zur Änderung und Vereinfachung der Unternehmensbesteuerung und des steuerlichen Reisekostenrechts vom 20. Februar 2013[1] hat der Gesetzgeber seit 2014 den vormals durch die Rechtsprechung geprägten Begriff der regelmäßigen Arbeitsstätte durch den gesetzlich in § 9 Abs. 4 EStG definierten Begriff der ersten Tätigkeitsstätte ersetzt. Mit der Gesetzesänderung wurde das Ziel verfolgt, die erste Tätigkeitsstätte insbesondere nach der Zuordnungsentscheidung des Arbeitgebers definieren zu können; einer gesonderten Zuordnung für einkommensteuerliche Zwecke sollte es nicht bedürfen. Rechtsstreitigkeiten sollten hierzu verhindert werden.[2] Dieser Zielsetzung hat zum Trotz hat sich die Rechtsprechung dennoch verstärkt mir der Rechtsauslegung der gesetzlich definierten „ersten Tätigkeitsstätte“ auseinanderzusetzen. Denn der Teufel steckt auch hier im Detail. Nachfolgend werden die aktuellen Entwicklungen beschrieben.
Grundsätzliches
Die Begründung einer ersten Tätigkeitsstätte führt dazu, dass die steuerliche Geltendmachung von Reisekosten an einem solchen Tätigkeitsort ausgeschlossen ist. Die Reisekostenarten
- Fahrtkosten
- Mehraufwendungen für Verpflegung
- Übernachtungskosten
- Reisenebenkosten
sind nur dann ansetzbar bzw. steuerfrei durch den ArbG erstattbar[3], wenn eine betrieblich oder beruflich veranlasste Auswärtstätigkeit vorliegt.[4]
Übersicht
Durch das Gesetz zur Änderung und Vereinfachung der Unternehmensbesteuerung und des steuerlichen Reisekostenrechts vom
20. Februar 2013[5] hat der Gesetzgeber den vormals durch die Rechtsprechung geprägten Begriff der regelmäßigen Arbeitsstätte durch den gesetzlich in § 9 Abs. 4 EStG definierten Begriff der ersten Tätigkeitsstätte ersetzt. Mit der Gesetzesänderung wurde das Ziel verfolgt, die erste Tätigkeitsstätte insbesondere nach der Zuordnungsentscheidung des Arbeitgebers definieren zu können; einer gesonderten Zuordnung für einkommensteuerliche Zwecke sollte es nicht bedürfen. Rechtsstreitigkeiten sollten hierzu verhindert werden.[6]
Auch hat der Gesetzgeber bestimmt, dass es im Rahmen eines Dienstverhältnisses maximal eine erste Tätigkeitsstätte geben kann.[7] Mehrere erste Tätigkeitsstätten sind damit – anders als vormals bei der regelmäßigen Arbeitsstätte[8] – in einem Dienstverhältnis nicht denkbar. Eine wahre Vereinfachung. Ob dies auch bei Gewinneinkünfteerzielern gilt, hat die Rechtsprechung bislang nicht abschließend geklärt.[9] M. E. gebietet dies die Gleichbehandlung von Gewinneinkünften mit Überschusseinkünften.
Aber wann liegt eine erste Tätigkeitsstätte vor? Der Gesetzgeber unterscheidet zwei Fälle:
- Eine erste Tätigkeitsstätte liegt am Ort einer ortsfesten[10] betrieblichen Einrichtung vor, wenn der Arbeitnehmer dieser dauerhaft zugeordnet ist.[11]
- Selbst ohne ausdrückliche Zuordnungsentscheidung des Arbeitgebers liegt eine erste Tätigkeitsstätte vor, wenn der Arbeitnehmer dauerhaft am Ort einer betrieblichen Einrichtung in gesetzlich bestimmtem Umfang tätig werden soll.[12]
Dauerhaftigkeit
§ 9 Abs. 4 Satz 3 EStG bestimmt, wann von einer Dauerhaftigkeit auszugehen ist.
Von einer dauerhaften Zuordnung ist nach den in § 9 Abs. 4 Satz 3 EStG aufgeführten Regelbeispielen auszugehen, wenn der Arbeitnehmer
- unbefristet (Alternative 1),
- für die Dauer des eventuell befristeten Dienstverhältnisses (Alternative 2) oder
- über einen Zeitraum von 48 Monaten hinaus (Alternative 3)
an einer solchen Tätigkeitsstätte tätig werden soll (Prognoseentscheidung).
Eine Zuordnung ist unbefristet i.S. des § 9 Abs. 4 Satz 3 1. Alternative EStG, wenn die Dauer der Zuordnung zu einer Tätigkeitsstätte aus der maßgeblichen Sicht ex ante nicht kalendermäßig bestimmt ist und sich auch nicht aus Art, Zweck oder Beschaffenheit der Arbeitsleistung ergibt.[13]
Ist ein Dienstverhältnis zeitlich befristet, kommt eine unbefristete Zuordnung im Rahmen dieses Dienstverhältnisses nicht in Frage. Es kann dann aber eine Dauerhaftigkeit in der Alternative 2 des § 9 Abs. 4 Satz 3 EStG vorliegen. Hiervon ist auszugehen, wenn die Zuordnung im Rahmen des Arbeits- oder Dienstverhältnisses unbefristet oder (ausdrücklich) für dessen gesamte Dauer erfolgt.[14]
Praxishinweis
War der Arbeitnehmer im Rahmen eines befristeten Arbeits- oder Dienstverhältnisses bereits einer ersten Tätigkeitsstätte zugeordnet und wird er im weiteren Verlauf einer anderen Tätigkeitsstätte zugeordnet, erfolgt diese zweite Zuordnung nicht mehr für die Dauer des Arbeits- oder Dienstverhältnisses (Anschlusseinsatz). Denn in Bezug auf die zweite Zuordnung steht (aus der auch insoweit maßgeblichen Sicht ex ante) fest, dass sie nicht gemäß § 9 Abs. 4 Satz 3 2. Alternative EStG für die (gesamte) Dauer des Dienstverhältnisses gilt, sondern lediglich für die Dauer des verbleibenden Arbeits- oder Dienstverhältnisses.[15]
Feuerwehrmann-Fall: BFH-Urteil vom 26.10.2022 – VI R 48/20, BFH/NV 2023, 423
- Zu klärende Frage
Stellt die Ableistung von Arbeitsbereitschafts- und Bereitschaftsruhezeiten in einer Einrichtung des Arbeitgebers eine Tätigkeit i.S.d. § 9 Abs. 4 EStG dar?
- Sachverhalt
Der Kläger ist in A als Feuerwehrmann angestellt. Nach seinem Arbeitsvertrag konnte er vom Arbeitgeber gemäß arbeitstäglich neu auszuübender Weisung an vier verschiedenen Einsatzorten in drei Gemeinden eingesetzt werden. Tatsächlich wurde er vom Arbeitgeber allerdings nur an einem dieser Einsatzorte beschäftigt.
Im Streitjahr (2016) war er an 112 Tagen in der Feuerwache B eingesetzt und machte hierfür Fahrtkosten nach Reisekostengrundsätzen geltend.
Im Gegensatz zum Finanzamt ließ das FG Rheinland-Pfalz einen Kostenabzug nach Reisekostenrecht zu,[16] weil es an einer dauerhaften Zuordnung des Arbeitgebers fehle.
- Entscheidung und Begründung
Der BFH sah die Rev. des Finanzamts als begründet an und hob deshalb die Entscheidung des FG auf. Er begründet dies im Wesentlichen wie folgt:
- Die Feuerwehrwache B ist eine ortsfeste betriebliche Einrichtung des Arbeitgebers.
- Eine (dauerhafte) Zuordnung zur Feuerwache B kann aber nicht allein deshalb verneint werden, weil der Kläger lt. Arbeitsvertrag verpflichtet ist, seinen Dienst an vier verschiedenen Einsatzstellen leisten zu müssen. Eine steuerliche Zuordnung lasse sich aus einer solchen Bestimmung nicht entnehmen. Die Weisung des Arbeitgebers, in unterschiedlichen betrieblichen Einrichtungen tätig zu werden, steht einer Zuordnung zu einer dieser Einrichtungen nicht entgegen.
- Ob ein konkreter Einsatzort vorgesehen war, muss das FG nunmehr ebenso prüfen wie die Frage, ob an diesem Ort eine dauerhafte Zuordnung vorlag oder zumindest die zeitlichen Voraussetzungen zu erfüllen waren.
- Eine erste Tätigkeitsstätte setzt nach § 9 Abs. 4 Satz 1 und Satz 4 EStG auch eine Tätigkeitserbringung voraus. Bei Angehörigen der Betriebs- und Werksfeuerwehr stellt auch die Arbeitsbereitschafts- und Bereitschaftsruhezeit eine arbeitsrechtlich geschuldete und dem Berufsbild entsprechende Tätigkeit dar.
- Zu klärende Frage
Liegt eine „dauerhafte“ Zuordnung selbst dann vor, wenn unter Beachtung dienstrechtlicher Vorschriften (jederzeit) auch eine anderweitige Zuordnung durch den Arbeitgeber erfolgen kann?
- Sachverhalt
Der Kläger erzielte in den Streitjahren (2014 bis 2016) Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Er hatte sich 2014 als Soldat auf Zeit für acht Jahre verpflichtet. Der Kläger trat am 1.10.2014 in die Bundeswehr ein. Nach der Einplanungsentscheidung des Karrierecenters der Bundeswehr aus April 2014 war zunächst eine viermonatige Grundausbildung am Standort X zu leisten; die Anschlussverwendung war am Standort Y (Fliegerhorst) vorgesehen.
Die Bundeswehr hat den Kläger bereits während der bis zum 31.1.2015 vorgesehenen Grundausbildung zum Standort Y versetzt. Am 1.12.2014 nahm er dort seinen Dienst auf und als voraussichtliche Verwendungsdauer war der 31.12.2017 (= 37 Monate) angegeben. Nach dem regulären Ende der Grundausbildung (Eignungsübung) am 31.1.2015 wurde der Kläger zum 1.2.2015 in das Dienstverhältnis eines Soldaten auf Zeit berufen. Die Dauer des Dienstverhältnisses des Klägers zur Bundeswehr betrug zunächst zwei Jahre. Ausweislich einer weiteren Mitteilung der Bundeswehr über die Dauer des Dienstverhältnisses vom Mai 2016 wurde die Dienstzeit des Klägers entsprechend seiner Verpflichtungserklärung auf acht Jahre festgesetzt, so dass die Dienstzeit am 30.9.2022 planmäßig endete.
Im Juni 2016 erfolgte ein Dienstpostenwechsel, ohne dass sich hierdurch der Standort für den Kläger änderte. Als neue voraussichtliche Verwendungsdauer am Standort Y war der 30.6.2021 angegeben.
Der Kläger wurde vom Standort Y aus zu verschiedenen Lehrgängen und zu einem Einsatz abgeordnet. In seinen ESt-Erklärungen machte der Kläger in den Streitjahren im Wesentlichen die Fahrtkosten zum Standort Y nach Reisekostengrundsätzen gelten.
Das Hessische FG ließ demgegenüber nur einen Kostenabzug nach den Grundsätzen der Entfernungspauschale zu.[17]
- Entscheidung und Begründung
Der BFH sah die Revision des Klägers als unbegründet an. Er begründete dies im Wesentlichen wie folgt:
- Der Bundeswehrstandort (hier: Fliegerhorst) stellt ein großflächiges und infrastrukturell erschlossenes Gebiet und damit eine großräumige ortsfeste Einrichtung des Arbeitgebers dar.
- Eine unbefristete Zuordnung erfolgte für die Dauer des befristeten Dienstverhältnisses zum Bundeswehrstandort Y, weil der Kläger mit der Einplanungsentscheidung aus April 2014 bereits damit zu rechnen hatte, an diesem Standort seinen Dienst abzuleisten zu haben. Der Kläger unterhielt im Rahmen des zeitlich befristeten Dienstverhältnisses nur an diesem Ort seine erste Tätigkeitsstätte. Am Ort der Eignungsprüfung lag keine erste Tätigkeitsstätte vor, weil dort nur eine vorübergehende Tätigkeit zu erbringen war.
- Eine unbefristete Zuordnung lag trotz der Formulierung „voraussichtlicher Verwendungsdauer“ vor. Die bloße Vereinbarung einer voraussichtlichen Verwendungsdauer stellt keine feste Befristung dar, so dass hieraus keine vorübergehende Tätigkeitsdauer am Zuordnungsort abgeleitet werden kann.
[1] BGBl I 2013, 285 = BStBl I 2013, 188
[2] Harder-Buschner, NWB 2012, 3848
[3] § 3 Nr. 13 bzw. Nr. 16 EStG
[4] R 9.4 Satz 1 LStR 2023
[5] BGBl I 2013, 285 = BStBl I 2013, 188
[6] Harder-Buschner, NWB 2012, 3848
[7] § 9 Abs. 4 Satz 5 EStG
[8] Siehe hierzu weitergehend Seifert, StuB 2013, 256
[9] Wick, RiBFH, DStR 2022, 1474
[10] siehe hierzu weitergehend Seifert, NWB 2014, 3448
[11] § 9 Abs. 4 Satz 1 EStG
[12] § 9 Abs. 4 Satz 4 EStG
[13] BFH-Urt. v. 4.4.2019 – VI R 27/17, BStBl II 2019, 536 Rz. 21
[14] BFH-Urt. v. 30.9.2020 – VI R 11/19, BStBl II 2021, 308 Rz. 23 m.w.N.
[15] BFH-Urt. v. 10.4.2019 – VI R 6/17, BStBl II 2019, 539 Rz. 26 und BFH-Urt. v. 12.5.2022 – VI R 32/20, BStBl II 2023, 35 Rz. 21
[16] FG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 28.11.2019 – 6 K 1475/18, EFG 2020, 269
[17] Hessisches FG, Urt. v. 25.3.2021 – 4 K 1788/19, EFG 2021, 1194