In welchem Zeitpunkt steuerpflichtiger Arbeitslohn dem Lohnsteuerabzug zu unterwerfen ist, richtet sich auch danach, ob laufender Arbeitslohn oder ein sonstiger Bezug vorliegt.
Praxishinweis
Vor der Bestimmung des Erfassungszeitpunkts muss jedoch geprüft werden, ob dem Mitarbeiter überhaupt Arbeitslohn zugeflossen ist.
Offene Frage
Liegt ein lohnsteuerlicher Zufluss von Arbeitslohn bei Gutschrift auf ein noch zu errichtendes Zeitwertkonto vor?
Sachverhalt
Die Klägerin zahlte ab 2008 unterschiedlichen Arbeitnehmern verschiedene Gehaltsansprüche (insbesondere Prämien und Weihnachtsgeld) nicht aus.
Die Klägerin vereinbarte mit den betreffenden Arbeitnehmern die Gutschrift auf ein noch einzurichtendes Zeitwertkonto.
Erst im November 2011 schloss die Klägerin mit den Arbeitnehmern eine Wertguthabenvereinbarung über die Führung von Wertkonten zum Zwecke der ruhestandsnahen Freistellung ab.
Auffassung der Finanzverwaltung
- Für den Zeitraum vor November 2011 sind die Gutschriften auf dem noch zu errichtenden Zeitwertkonto steuerpflichtiger (zugeflossener) Arbeitslohn.
- Es mangelt im Entscheidungsfall an einer Zeitwertkontengarantie, vgl. BMF v. 17.6.2009 – BStBl I 2009, 1286.
Auffassung des Thüringer FG[1]
Entgegen der Auffassung der FinVerw. ging das FG Thüringen nicht von einem gegenwärtigen Zufluss von Arbeitslohn aus. Auch wenn es bei einem Zeitwertkonto an einer sog. Zeitwertkontengarantie fehle, komme es nicht bereits deswegen zu einem entsprechenden Zufluss von Arbeitslohn im Zeitpunkt der Zuführung auf das Zeitwertkonto.
Auffassung des BFH[2]
Auch nach Auffassung des BFH führt die fehlende Insolvenzsicherung und das damit einhergehende Risiko des (Wert-)Verlusts eines vom Arbeitgeber nicht erfüllten Lohnanspruchs nicht zum Zufluss von Arbeitslohn.
- Arbeitslohn, der dem Lohnsteuerabzug unterliegt, fließt im Entscheidungsfall nicht zu.
- Mangels Auszahlung liegt kein Zufluss vor, so dass sich keine gegenwärtige Lohnsteuerabzugsverpflichtung ergibt.
- Das bloße Innehaben von Ansprüchen gegen den Arbeitgeber löst keinen Arbeitslohnzufluss aus.[3]
Praxishinweis
Das Tragen des Insolvenzrisikos in Bezug auf den vom Arbeitgeber nicht erfüllten Arbeitslohnanspruch führt nicht zum Zufluss von Arbeitslohn (wirtschaftliche Verfügungsmacht liegt nicht vor). Ob die durch das BMF-Schr. v. 17.6.2009[4] verlangte Wertguthabenvereinbarung auch vom BFH verlangt wird, blieb im Entscheidungsfall offen. Der BFH deutet aber an, dass auch eine zivilrechtlich nicht wirksame Vereinbarung zu akzeptieren sei, wenn das Ergebnis wirtschaftlich eintreten solle.[5]
[1] Thüringer FG, Urt. v. 25.11.2021 – 4 K 122/18, EFG 2022, 120
[2] BFH-Urt. v. 28.6.2023 – VI R 28/21
[3] BFH-Urt. v. 28.6.2023 – VI R 28/21 Rz. 16
[4] BStBl I 2009, 1286
[5] Siehe hierzu BFH-Urt. v. 28.6.2023 – VI R 28/21 Rz. 17; siehe auch BFH-Urt. v. 3.5.2023 – IX R 25/21: Zufluss von Arbeitslohn bei Arbeitslohneinbringung aus einer Abfindung in ein Wertguthabenkonto