Grundsätzliches
Ob ein Kostenabzug nach reisekostenrechtlichen Grundsätzen möglich ist oder nicht, entscheidet sich danach, ob am jeweiligen Einsatzort eine erste Tätigkeitsstätte unterhalten wird. Der Begriff der ersten Tätigkeitsstätte wird seit dem VZ 2014 in § 9 Abs. 4 EStG definiert.
Blick ins Gesetz: § 9 Abs. 4 S. 1 – 5 EStG
„(4) 1Erste Tätigkeitsstätte ist die ortsfeste betriebliche Einrichtung des Arbeitgebers, eines verbundenen Unternehmens (§ 15 des Aktiengesetzes) oder eines vom Arbeitgeber bestimmten Dritten, der der Arbeitnehmer dauerhaft zugeordnet ist.
2Die Zuordnung im Sinne des Satzes 1 wird durch die dienst- oder arbeitsrechtlichen Festlegungen sowie die diese ausfüllenden Absprachen und Weisungen bestimmt.
3Von einer dauerhaften Zuordnung ist insbesondere auszugehen, wenn der Arbeitnehmer unbefristet, für die Dauer des Dienstverhältnisses oder über einen Zeitraum von 48 Monaten hinaus an einer solchen Tätigkeitsstätte tätig werden soll.
4Fehlt eine solche dienst- oder arbeitsrechtliche Festlegung auf eine Tätigkeitsstätte oder ist sie nicht eindeutig, ist erste Tätigkeitsstätte die betriebliche Einrichtung, an der der Arbeitnehmer dauerhaft
- typischerweise arbeitstäglich tätig werden soll oder
- je Arbeitswoche zwei volle Arbeitstage oder mindestens ein Drittel seiner vereinbarten regelmäßigen Arbeitszeit tätig werden soll.
5Je Dienstverhältnis hat der Arbeitnehmer höchstens eine erste Tätigkeitsstätte.
Praxishinweis
Das BMF-Schreiben vom 25. November 2020[1] geht näher aus Verwaltungssicht auf Auslegungsfragen zur ersten Tätigkeitsstätte ein. Zudem sind aktuelle – nachfolgend dargestellte – Entwicklungen aus der Rechtsprechung zu beachten.
BFH-Beschluss v. 8. Februar 2024[2]
Der BFH hatte sich nunmehr mit der Frage auseinanderzusetzen, in welchen Fällen bei Rettungssanitätern von einer „dauerhaften Zuordnung“ zu einer ortsfesten betrieblichen Einrichtung auszugehen ist.
Der gerade veröffentlichte BFH-Beschl. ist zu Rettungssanitätern ergangen, die innerhalb eines bestimmten Versorgungsbereichs eingesetzt werden. Innerhalb dieses Versorgungsbereich werden die Rettungssanitäter dauerhaft, aber rollierend auf Basis monatlich erstellter Dienstpläne in verschiedenen Rettungswachen eingesetzt.
Es stellte sich die Frage, ob die Fahrtkosten zur jeweiligen Wache nach den Grundsätzen des Reisekostenrechts ansetzbar sind.
Zuordnung
Die Zuordnung kann schriftlich, mündlich aber auch konkludent erfolgen. Eine Zuordnungsentscheidung nach § 9 Abs. 4 Satz 2 EStG bedarf keiner Dokumentation. Eine Zuordnungsentscheidung kann sich beispielsweise auch aus Einsatzplänen ergeben.[3]
Praxishinweis
Der BFH betont, dass sich durch Einsatzpläne eine Zuordnung ergeben „kann“ – aber nicht muss. Diese differenzierte Betrachtungsweise entspricht auch der jüngeren BFH-Rechtsprechung.[4] Eine mögliche Zuordnung ist jedoch nur dann bedeutsam, wenn eine mögliche Zuordnung auch „dauerhaft“ ist. Und hieran mangelte es im Entscheidungsfall.[5]
„Dauerhafte“ Zuordnung
Eine erste Tätigkeitsstätte wird nur ausgelöst, sofern eine „dauerhafte“ Zuordnung vorliegt.
Von einer dauerhaften Zuordnung geht der Gesetzgeber insbesondere dann aus, wenn der Arbeitnehmer
- unbefristet,
- für die Dauer des Dienstverhältnisses oder
- über einen Zeitraum von 48 Monaten hinaus
an einer solchen Tätigkeitsstätte tätig werden soll.[6]
Eine Zuordnung ist unbefristet, wenn die Dauer der Zuordnung zu einer Tätigkeitsstätte aus der maßgeblichen Sicht ex ante nicht kalendermäßig bestimmt ist („soll“) und sich auch nicht aus Art, Zweck oder Beschaffenheit der Arbeitsleistung ergibt.[7]
Praxishinweis
Der BFH verneint im Entscheidungsfall eine dauerhafte Zuordnung aufgrund der monatlich erstellten Einsatzpläne.
Das FG hatte in dem BFH-Entscheidungsfall festgestellt, das ausweislich der Arbeitsverträge des Klägers das Kreisgebiet des Landkreises des Rettungssanitäters als dessen Arbeitsort gelte. Eine dienst- und arbeitsrechtliche Zuordnung zu einer ersten Tätigkeitsstätte lag ausweislich einer Arbeitgeberbescheinigung nicht vor. Vielmehr würden die Mitarbeiter einem bestimmten Versorgungsbereich zugeordnet, innerhalb dessen sie dauerhaft und grundsätzlich eingesetzt würden. Innerhalb dieses Bereichs rollierten sie auf Basis monatlich erstellter Dienstpläne auf allen Wachen.
Der BFH nimmt in diesem Fall keine dauerhafte Zuordnung zu einer bestimmten Rettungswache oder einer ersten Tätigkeitsstätte nach § 9 Abs. 4 Satz 4 EStG an. Allein ein monatlich im Voraus erstellter Dienstplan könne bei einem unbefristet tätigen Arbeitnehmer keine Dauerhaftigkeit der Zuordnung begründen. Darauf, dass der Mitarbeiter ex post betrachtet ganz überwiegend nur in einer bestimmten Einsatzstelle eingesetzt wurde, komme es nicht an.
Bedeutung über den entschiedenen Einzelfall hinaus
Der aktuelle Beschluss des BFH ist über den Einzelfall hinaus für sämtliche Mitarbeiter bedeutsam, deren Arbeitsort z. B. innerhalb eines bestimmten Einsatzgebietes rolliert und an keinem der Arbeitsorte ex ante ein unbefristeter Einsatz vorgesehen ist. Bedeutsam kann dies z. B. auch für Lehrer sein, die an mehreren Schulen eingesetzt werden.
[1] § 9 Abs. 4 Satz 3 EStG
[2] BFH-Urt. v. 26.10.2022 – VI R 48/20, BStBl II 2023, 582
[1] BMF-Schr. v. 25.11.2020 – IV C 5 – S 2353/19/10011:006, BStBl I 2020, 1228
[2] BFH-Beschl. v. 8.2.2024 – VI B 46/23
[3] BMF-Schr. v. 25.11.2020- BStBl I 2020, 1228 Rz. 11
[4] Siehe auch BFH-Urt. v. 14.9.2023 – VI R 27/21, BStBl II 2024, 38
[5] Siehe nachfolgende Ausführungen
[6] § 9 Abs. 4 Satz 3 EStG
[7] BFH-Urt. v. 26.10.2022 – VI R 48/20, BStBl II 2023, 582