Pflicht zur elektronischen Übermittlung der Einkommensteuer-Erklärung

 

Der BFH hat sich mit Urteilen vom 16. Juni 2020[1] zur Unzumutbarkeit der Abgabe einer Einkommensteuer-Erklärung in elektronischer Form geäußert.

Einkommensteuer-Erklärungen sind grundsätzlich elektronisch zu übermitteln, wenn Gewinneinkünfte erzielt werden.[2] Eine Ausnahme von dieser Übermittlungspflicht besteht in den Veranlagungsfällen nach § 46 Abs. 2 Nr. 2 bis 8 EStG, in denen geringfügige Gewinneinkünfte erklärt werden.

Liegen mehr als nur geringfügige Gewinneinkünfte vor, kann die Finanzbehörde auf Antrag zur Vermeidung unbilliger Härten auf eine Übermittlung durch Datenfernübertragung verzichten.[3]

Gelegentlich wollen sich Steuerbürger der bestehenden Verpflichtung auf elektronische Übertragung der Einkommensteuer-Erklärung nebst Anlage EÜR mit Verweis auf die Härtefallregelung widersetzen. Hierzu hat der BFH eine grundsätzlich bedeutsame Entscheidung getroffen.

 

Sachverhalt

Der 1965 geborene Kläger war seit 2006 als selbständiger Physiotherapeut tätig. Er übte seine Tätigkeit ohne Mitarbeiter und ohne eigene Praxis- oder Büroräume aus. Zudem verfügte der Kläger zwar über einen PC und einen Telefonanschluss, nicht aber über einen Internetzugang oder ein Smartphone.

Bis zum VZ 2016 akzeptierte das Finanzamt handschriftlich erstellte Einkommensteuer-Erklärungen und Gewinnermittlungen. Die Einkommensteuer-Erklärung 2017 gab der Kläger ebenso in handschriftlicher Form ab. In dem Streitjahr 2017 erzielte der Kläger Einkünfte aus seiner selbständigen Tätigkeit in Höhe von 14.534 EUR.

Dem Finanzamt wurde keine elektronische Einkommensteuer-Erklärung übermittelt; daraufhin setzte es ein Zwangsgeld von 200 EUR fest. Eine Befreiung von der elektronischen Erklärungsabgabe lehnte das Finanzamt ab.

Dem folgte das FG Berlin-Brandenburg nicht. Mit Urteil vom 8. August 2019[4] verpflichtete es das Finanzamt, das Zwangsgeld aufzuheben.

 

Entscheidung des BFH

Auch nach Auffassung des BFH ist das Zwangsgeld aufzuheben.

Zwar kann das Finanzamt nach § 25 Abs. 4 Satz 2 EStG auf die elektronische Erklärungsübertragung verzichten. Dieses Wahlrecht ist aber nachrangig gegenüber dem Anspruch auf Befreiung von der elektronischen Erklärungsabgabe nach § 150 Abs. 8 AO.

 

§ 150 Abs. 8 Satz 1 AO bestimmt Folgendes:

„(8) 1Ordnen die Steuergesetze an, dass die Finanzbehörde auf Antrag zur Vermeidung unbilliger Härten auf eine Übermittlung der Steuererklärung nach amtlich vorgeschriebenem Datensatz durch Datenfernübertragung verzichten kann, ist einem solchen Antrag zu entsprechen, wenn eine Erklärungsabgabe nach amtlich vorgeschriebenem Datensatz durch Datenfernübertragung für den Steuerpflichtigen wirtschaftlich oder persönlich unzumutbar ist. 

2Dies ist insbesondere der Fall, wenn die Schaffung der technischen Möglichkeiten für eine Datenfernübertragung des amtlich vorgeschriebenen Datensatzes nur mit einem nicht unerheblichen finanziellen Aufwand möglich wäre oder wenn der Steuerpflichtige nach seinen individuellen Kenntnissen und Fähigkeiten nicht oder nur eingeschränkt in der Lage ist, die Möglichkeiten der Datenfernübertragung zu nutzen.“

 

Der Gesetzgeber bestimmt nicht ausdrücklich, in welchen Fällen ein „nicht unerheblicher finanzieller Aufwand“ vorliegt. Nach Auffassung des BFH ist die Grenze überschritten, wenn die Schaffung der technischen Voraussetzung in keinem wirtschaftlich sinnvollen Verhältnis mehr zu den Einkünften steht, die es elektronisch zu übermitteln gilt.

§ 150 Abs. 8 AO soll eine großzügige Ausnahmeregelung sein. Im Entscheidungsfall wurden bei Betriebseinnahmen von 16.722 EUR Gewinneinkünfte i. H. v. 14.534 EUR erzielt. Betragen die Betriebseinnahmen weniger als 17.500 EUR, sollen solche Kleinbetriebe von einer elektronischen Übertragung zu befreien sein. Dies gelte gleichermaßen auch für die Übertragung der Anlage EÜR.

Nur falls kein Anspruch auf Befreiung von der Verpflichtung zur elektronischen Erklärungsabgabe nach § 150 Abs. 8 AO besteht, lebt das Ermessenswahlrecht nach § 25 Abs. 4 Satz 2 EStG wieder auf.[5]

 

Fazit

Die Finanzverwaltung hatte eine elektronische Anlage EÜR bis 2016 nicht verlangt, sofern die Betriebseinnahmen weniger als 17.500 EUR im Wirtschaftsjahr betrugen.[6] Offensichtlich will sich der BFH an dieser seit 2017 aufgehobenen Grenze bei Beurteilung der wirtschaftlichen Unzumutbarkeit orientieren. Daneben muss aber auch eine persönliche Unzumutbarkeit vorliegen. Wird von dem die Gewinneinkünfte erzielenden Steuerpflichtigen – anders als im Entscheidungsfall – bereits ein Internetanschluss unterhalten, dürfte eine elektronische Übertragung persönlich zumutbar sein, zumal ein Internetanschluss ohne Hardware keinen Sinn macht. Selbst wenn sich einzelne – zumeist individuelle – Persönlichkeiten gegen die elektronische Erklärungsabgabe auch heute noch wehren, dürfte dies m. E. zu Recht abzulehnen sein, insbesondere, wenn zuvor bei der Einkünfteermittlung PC-Aufwendungen und Internetkosten abgesetzt wurden.

Gleichwohl löst die Entscheidung des BFH neue Diskussionen hinsichtlich der elektronischen Abgabeverpflichtung der Anlage EÜR bei Kleinbetrieben (Betriebseinnahmen von weniger als 17.500 EUR) aus. Es ist gegenwärtig jedoch nicht zu erwarten, dass die Finanzverwaltung die bis zum VZ 2016 geltende allgemeine Befreiungsregelung bei Betriebseinnahmen von weniger als 17.500 EUR wieder zum Leben erwecken wird. Die weiteren Entwicklungen bleiben abzuwarten.

 

[1] BFH-Urt. v. 16.6.2020 – VIII R 29/19, DStR 2020, 2541 und v. 16.6.2020 – VIII R 29/17

[2] § 25 Abs. 4 Satz 1 EStG

[3] § 25 Abs. 4 Satz 2 EStG

[4] FG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 8.8.2019 – 4 K 4231/18, EFG 2020, 204 (nachfolgend BFH-Urt. v. 16.6.2020 – VIII R 29/19)

[5] BFH v. 16.6.2020 – VIII R 29/17

[6] BMF-Schr. v. 29.9.2016 – BStBl I 2016, 1019

 

 

Stand: 19.11.2020