Mit seinem Urteil zur Zulässigkeit von Beteiligungsverboten bei Anwaltskanzleien im Falle der Beteiligung reiner Investoren durch den deutschen Gesetzgeber, stärkt der EUGH die Unabhängigkeit von Kanzleien. Insgesamt ist das Urteil sowohl überraschend als auch erfreulich.
Eine Rechtsanwaltsgesellschaft hatte beim Bayerischen Anwaltsgerichtshof gegen einen Bescheid der Rechtsanwaltskammer München geklagt, die die Zulassung der Gesellschaft widerrufen hatte. Grund hierfür war, dass die Anwaltsgesellschaft einen Finanzinvestor aufgenommen hatte, der mit seiner Beteiligung rein finanzielle Interessen verfolgt hatte. Der Bayerische Anwaltsgerichtshof hatte den Europäischen Gerichtshof (EUGH) daraufhin zur Vereinbarkeit dieser Regelung mit dem Unionsrecht, insbesondere der Niederlassungsfreiheit und des freien Kapitalverkehrs, befragt.
Der EUGH hat in der Rechtssache C-295/23 nun entschieden, dass Deutschland die Beteiligung reiner Finanzinvestoren am Kapital einer Rechtsanwaltsgesellschaft durchaus verbieten darf. Eine dadurch vorgenommene Beschränkung der Niederlassungsfreiheit sei durch das Ziel gerechtfertigt, die Unabhängigkeit des Berufs und die Beachtung der berufsrechtlichen Pflichten zu gewährleisten.
Aufgrund der Ähnlichkeit des Berufs und der berufsrechtlichen Unabhängigkeit von Steuerberatern, muss das Urteil nicht allein für Rechtsanwalte, sondern im gleichen Maße für Steuerberater und Wirtschaftsprüfer Geltung haben.
Das Urteil des EUGH ist durchaus eine Überraschung. Schließlich hatte der Generalanwalt des EUGH in seinem Schlussantrag den gegenständlichen Regelungen der BRAO zuvor noch die erforderliche Kohärenz abgesprochen. Nach dessen Ansicht wäre es mit den Bestimmungen des freien Kapitalverkehrs nämlich unvereinbar gewesen, dass bestimmte Berufe sich an einer Anwaltskanzlei beteiligen dürften, andere aber nicht.
Der EUGH folgte dem Schlussantrag jedoch nicht. Vielmehr sah das Gericht die Beschränkung der Niederlassungsfreiheit und des freien Kapitalverkehrs durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt. Es sei nämlich davon auszugehen, dass ein Anwalt nicht in der Lage wäre, seinen Beruf unabhängig und unter Beachtung seiner Berufs- und Standespflichten auszuüben, wenn er einer Gesellschaft angehört, zu deren Gesellschaftern Personen zählen, die ausschließlich als reine Finanzinvestoren handeln.
Das Urteil ist nicht nur überraschend, sondern insgesamt auch überaus erfreulich.
Sicherlich könnte die ein oder andere Steuerkanzlei mit einem hohen Investitionsbedarf auch die Schattenseiten des Urteils bedauern. Insgesamt stärkt das Urteil aber die Unabhängigkeit des Berufs und damit eine der wichtigsten Säulen des bestehenden Berufsrechts. Allein durch die Unabhängigkeit kann schließlich die Verschwiegenheit und hochwertige Qualität der Dienstleistung gesichert und das Mandanteninteresse gewahrt bleiben.
Das Urteil nimmt dem deutschen Gesetzgeber zudem den Druck von weiteren Empfehlungen der Europäischen Kommission. Schließlich hatte diese von Deutschland mit Nachdruck gefordert, die Kapitalbindung auch bei Steuerkanzleien weiter zu lockern.
Eine Forderung, die sich mit dem jetzigen EUGH-Urteil endgültig erledigt hat.