Das FG Berlin-Brandenburg hat mit Gerichtsbescheid vom 16. Juni 2022[1] entschieden, dass ein Müllwerker auf dem Betriebshof des Entsorgers keine erste Tätigkeitsstätte unterhält und daher bei einer Abwesenheit von der Wohnung von mehr als acht Stunden pro Arbeitstag die gesetzlichen Pauschbeträge für Verpflegungsmehraufwendungen beanspruchen kann.
Ein Arbeitnehmer kann bei Tätigkeiten außerhalb seiner Wohnung und ersten Tätigkeitsstätte pro Arbeitstag einen Pauschbetrag für Verpflegungsmehraufwendungen als Werbungskosten abziehen,[2] an dem er mehr als acht Stunden von seiner Wohnung und ersten Tätigkeitsstätte abwesend ist.
Der Entscheidung liegt im Wesentlichen folgender Sachverhalt zugrunde:
- Der Kläger ist als Müllwerker für einen kommunalen Entsorgungsbetrieb tätig.
- Der Kläger fährt arbeitstäglich als einer von zwei sog. Läufern neben dem Kraftfahrer auf dem LKW mit, der die Mülltonnen der Kunden im Abfuhrgebiet entleert.
- Zwischen Abfahrt von der Wohnung am Morgen und Rückkehr dorthin am Nachmittag liegen regelmäßig mehr als acht Stunden.
- Hingegen beträgt die arbeitstägliche Fahrzeit auf dem Müllfahrzeug im Abfuhrgebiet (Abwesenheit vom Betriebshof) in der Regel weniger als acht Stunden.
- Für die Frage, ob Verpflegungsmehraufwendungen zu berücksichtigen sind, kam es daher darauf an, ob der Betriebshof erste Tätigkeitsstätte des Müllwerkers ist.
Entscheidung des FG Berlin-Brandenburg
Das Gericht hat entschieden, dass der Betriebshof des Entsorgers keine erste Tätigkeitsstätte eines Müllwerkers ist, wenn er dort lediglich die Ansage der Tourenleitung abhört, das Tourenbuch, Fahrzeugpapiere und -schlüssel abholt sowie die Fahrzeugbeleuchtung kontrolliert.
Auch längere regelmäßige Wartezeiten durch den Stau ausrückender Müllfahrzeuge sowie nur gelegentliche Verrichtungen wie Veranlassung von Reparaturen bei Beschädigungen oder Defekten an Müllfahrzeugen, gelegentliche Reinigung von Fahrzeugen und Betankung von gasbetriebenen Fahrzeugen an der Gastankstelle auf dem Betriebshof begründen keine erste Tätigkeitsstätte.
Maßgeblich für die Berücksichtigung von Verpflegungsmehraufwendungen ist im vom FG Berlin-Brandenburg entschiedenen Fall daher die Dauer der Abwesenheit des Müllwerkers von der Wohnung und nicht vom Betriebshof des Entsorgers. Da diese arbeitstäglich mehr als acht Stunden beträgt, kann der Kläger die gesetzlichen Pauschbeträge für Verpflegungsmehraufwendungen beanspruchen.
Der Gerichtsbescheid ist rechtskräftig.
Praxishinweis
Die Entscheidung ist über den entschiedenen Einzelfall hinaus bedeutsam. Sie verdeutlicht, dass alleine eine Arbeitgeberzuordnung nicht für die Begründung einer ersten Tätigkeitsstätte ausreicht. Vielmehr muss am Zuordnungsort auch eine „Tätigkeit“ erbracht werden.
Erforderlich, aber auch ausreichend ist, dass der Arbeitnehmer am Ort der ersten Tätigkeitsstätte zumindest in geringem Umfang Tätigkeiten zu erbringen hat, die er arbeitsvertraglich oder dienstrechtlich schuldet und die zu dem von ihm ausgeübten Berufsbild gehören.[3] Nur dann kann die „erste Tätigkeitsstätte“ als Anknüpfungspunkt für den Ansatz von Wegekosten nach Maßgabe der Entfernungspauschale und als Abgrenzungsmerkmal gegenüber einer auswärtigen beruflichen Tätigkeit dienen.
[1] FG Berlin-Brandenburg, Gerichtsbescheid v. 16.6.2022 – 16 K 4259/17
[2] Vgl. § 9 Abs. 4a EStG
[3] So auch BFH-Urt. v. 2.9.2021 – VI R 25/19, BFH/NV 2022, 18