Der Bundestag hat am 10. November 2022 den von den Koalitionsfraktionen eingebrachten Gesetzentwurf „zum Ausgleich der Inflation durch einen fairen Einkommensteuertarif sowie zur Anpassung weiterer steuerlicher Regelungen“ (Inflationsausgleichsgesetz – kurz: InflAusG)[1] unter Berücksichtigung der Beschlussempfehlungen und des Berichts des Bundestags-Finanzausschusses[2] verabschiedet.

Es ist davon auszugehen, dass der Bundesrat in seiner Sitzung am
25. November 2022 diesem Gesetz vom Bundestag beschlossenen Gesetz[3] zustimmen wird.

  • Bericht über die Höhe des steuerfrei zu stellenden Existenzminimums für Erwachsene und Kinder (14. Existenzminimumbericht)

Die Bundesregierung hat am 2. November 2022[4] den
14. Existenzminimumbericht beschlossen. Gegenstand des
14. Existenzminimumberichts ist die Darstellung der maßgebenden Beträge für die Bemessung der steuerfrei zu stellenden Existenzminima.

Praxishinweis

Auf Grundlage dieses Berichts werden durch das Inflationsausgleichsgesetz u. a. der Grundfreibetrag und der Freibetrag für Kinder erhöht. Zudem werden die Tarifeckwerte verschoben.

  • Erhöhung des Grundfreibetrags

Der Grundfreibetrag wird von 10.347 EUR (2022: Einzelveranlagung) auf 10.908 EUR (2023: Einzelveranlagung) und auf 11.604 EUR (2024: Einzelveranlagung) angehoben.

Übersicht

Veranlagungsjahr 2022 2023 2024
Grundfreibetrag      
Einzelveranlagung 10.347 EUR 10.908 EUR 11.604 EUR
Zusammenveranlagung 20.694 EUR 21.816 EUR 23.208 EUR

Praxishinweis

Bei der Berechnung der Lohnsteuer wird der Grundfreibetrag auch berücksichtigt. Durch die Erhöhung des Grundfreibetrags treten mit Wirkung ab 2023 bzw. ab 2024 Entlastungen bei den Mitarbeitern im Rahmen des Lohnsteuer-Abzugsverfahrens ein.[5]

Auch bei der Festsetzung von Einkommensteuer-Vorauszahlungen wird die Erhöhung des Grundfreibetrags berücksichtigt.

Ob Rentner einkommensteuerpflichtig sind, entscheidet sich danach, ob das zu versteuernde Einkommen den Grundfreibetrag übersteigt. Erhöhte Grundfreibeträge sind bei der Prüfung der persönlichen Steuerpflicht ebenso wie Rentenerhöhungen[6] in die Steuerkalkulation einzubeziehen.

Als Folgewirkung aus einer Erhöhung der Grundfreibeträge dürften auch die Pfändungsfreigrenzen zum 1. Juli 2023 bzw. zum 1. Juli 2024 erhöht werden.

 

 

 

  • Unterhaltsabzugshöchstbetrag[7]

Der Gesetzgeber hatte für den VZ 2022 zunächst zwar den Grundfreibetrag erhöht, nicht jedoch den Unterhaltsabzugshöchstbetrag. Dies wird nunmehr rückwirkend ab dem VZ 2022 nachgeholt. Außerdem wird der Unterhaltsabzugshöchstbetrag künftig automatisch bei Änderung des Grundfreibetrags durch einen gesetzlichen Verweis der Höhe nach „programmgesteuert“ angepasst. Dies entspricht einer langjährigen Forderung der Verbände.

Übersicht

VZ 2022 2023 2024
Bislang 9.984 EUR 9.984 EUR 9.984 EUR
Nunmehr 10.347 EUR 10.908 EUR 11.604 EUR

Praxishinweis

Der Unterhaltsabzugshöchstbetrag erhöht sich, wenn Basiskranken- und Pflegeversicherungsbeiträge zu Gunsten der unterstützten Person getragen werden.[8]

In Auslandsfällen[9] ist seit dem VZ 2021 eine geänderte Ländergruppeneinteilung für die Bestimmung des Höchstbetrags für Unterhaltsleistungen zu beachten.[10]

  • Tarifänderungen

Durch die Neufassung von § 32a Abs. 1 EStG wird der für die Veranlagungsjahre 2023 bzw. 2024 geltende Einkommensteuertarif normiert. Der Tarif vollzieht die Anhebungen des Grundfreibetrags nach.

Zudem werden auf Grundlage des 5. Steuerprogressionsberichts die Eckwerte des Einkommensteuertarifs vom 2. November 2022[11] in Höhe der voraussichtlichen Inflationsrate „nach rechts verschoben“. Hierdurch wird die sog. kalte Progression abgebaut; d. h. inflationsbedingte Steuererhöhungen sollen verhindert werden.

Übersicht

Einzelveranlagung
Veranlagungsjahr
2022 2023 2024
Eingangsteuersatz 10.348 EUR bis 14.926 EUR 10.909 EUR bis 15.999 EUR 11.605 EUR bis 17.005 EUR
Progressionsphase 14.927 EUR bis 58.596 EUR 16.000 EUR bis 62.809 EUR 17.006 EUR bis 66.760 EUR
Spitzensteuersatz (42 %) 58.597 EUR 62.810 EUR 66.761 EUR
Reichensteuer (45 %) ab einem zu versteuernden Einkommen von …  

277.826 EUR

 

277.826 EUR

 

277.826 EUR

Praxishinweis

Die sog. Reichensteuer von 45 % wird weiterhin ab einem zu versteuernden Einkommen bei einer Einzelveranlagung von 277.826 EUR zu entrichten sein.

Der Spitzensteuersatz von 42 % kommt ab einem zu versteuernden Einkommen von
62.810 EUR (2023: Einzelveranlagung) bzw. 66.761 EUR (2024: Einzelveranlagung) zur Anwendung kommen.

  • Freibeträge für Kinder[12]

Der Freibetrag für Kinder wird rückwirkend ab dem VZ 2022 angehoben. Weitere Anhebungen wurden für die Veranlagungsjahre 2023 und 2024 beschlossen.

Übersicht

VZ 2022 2023 2024
Freibetrag für Kinder

(je Elternteil)[13]

     
Bislang 2.730 EUR 2.730 EUR 2.730 EUR
Nunmehr 2.810 EUR 3.012 EUR 3.192 EUR

Praxishinweis

Die rückwirkende Anhebung des Freibetrags für Kinder, die für den VZ 2022 beschlossen wurde, wirkt sich nicht rückwirkend im Lohnsteuerabzugsverfahren auf die Höhe der Kirchenlohnsteuer und des Solidaritätszuschlags aus.[14] Es findet auch keine Berücksichtigung im Rahmen des Arbeitgeber-Lohnsteuerjahresausgleichs statt.

Neben den erhöhten Freibeträgen für Kinder ist der in unveränderter Höhe festgelegte Freibetrag für den Betreuungs- und Erziehungs- oder Ausbildungsbedarf des Kindes (BEA-Freibetrag) zu berücksichtigen.

Übersicht

VZ 2022 2023 2024
Übersicht je Elternteil      
Freibetrag für Kinder 2.810 EUR 3.012 EUR 3.192 EUR
BEA-Freibetrag 1.464 EUR 1.464 EUR 1.464 EUR
Summe 4.274 EUR 4.476 EUR 4.656 EUR

 

VZ 2022 2023 2024
Übersicht: Zusammenveranlagung der Eltern      
Freibetrag für Kinder 5.620 EUR 6.024 EUR 6.384 EUR
BEA-Freibetrag 2.928 EUR 2.928 EUR 2.928 EUR
Summe 8.548 EUR 8.952 EUR 9.312 EUR

Das Kindergeld wird ab 2023 für das 1., 2. und 3. Kind erhöht. Die Kindergeldhöhe ab dem 4. Kind bleibt hingegen unverändert.

Übersicht

  2022 2023 2024
monatlich monatlich monatlich
1. Kind 219 EUR 250 EUR 250 EUR
2. Kind 219 EUR 250 EUR 250 EUR
3. Kind 225 EUR 250 EUR 250 EUR
ab 4. Kind 250 EUR 250 EUR 250 EUR

Eine Gewährung eines Kinderbonus ist für 2023 und 2024 nicht vorgesehen.

Praxishinweis

Die Erhöhung des Kindergeldes, welches immer nur an einen Elternteil zur Auszahlung kommt, ist beim Kindesunterhalt zu berücksichtigen.

 

 

  • Günstigerprüfung

Nach Ablauf des Kalenderjahres prüft das Finanzamt von Amts wegen bei der Veranlagung der Eltern zur Einkommensteuer, ob mit dem Anspruch auf Kindergeld bzw. mit den mit dem Kindergeld vergleichbaren Leistungen i. S. d. § 65 EStG das Existenzminimum der Kinder steuerfrei gestellt wurde (Günstigerprüfung).

Ist dies nicht der Fall, werden die Freibeträge für Kinder vom Einkommen abgezogen und der Anspruch auf Kindergeld mit der steuerlichen Wirkung der Freibeträge verrechnet.

Praxishinweis

Bei Erstellung der Einkommensteuer-Erklärung 2022 muss der für 2022 gewährte Kinderbonus bei Eintragung des Anspruchs auf Kindergeld ebenfalls eintragungstechnisch berücksichtigt werden.

 

  • Solidaritätszuschlag

Seit dem VZ 2021 wurde der Solidaritätszuschlag zwar nicht abgeschafft, aber stark zurückgeführt. Das bereits in 2019 beschlossene Gesetze zur Rückführung des Solidaritätszuschlags wirkt sich seit 2021 aus.[16] Durch das Inflationsausgleichsgesetz treten mit Wirkung ab 2023 wertmäßige Änderungen ein, ohne dass eine strukturelle Änderung erfolgt.

 

 

Zum Hintergrund

Seit dem 1. Januar 1995 wird nach dem Solidaritätszuschlaggesetz 1995 (SolZG) ein Solidaritätszuschlag zur ESt und KSt erhoben.

Erhoben wird der SolZ insb. zur veranlagten ESt, zu den ESt-Vorauszahlungen und zur LSt, auch wenn diese pauschal erhoben wird. Der SolZ beträgt in der Regel 5,5 % der Bemessungsgrundlage.

Der Regelsteuersatz von 5,5 % kann unterschritten werden. Das SolZG normiert eine Nullzone.[17] Bei Einhaltung der Nullzone fällt kein SolZ an.

Wird die Nullzone überschritten, fällt nicht sofort der volle SolZ von 5,5 % an. In einem Übergangsbereich wird der SolZ an den vollen Satz von
5,5 % herangeführt.[18]

Rechtslage ab 2021

Auch seit 2021 wird der SolZ– zeitlich unbefristet – fortge­führt. Die Nullzone wurde aber mit Wirkung ab 2021 stark erhöht. Durch die Anhebung der Nullzone ergaben sich auch Folgewirkungen auf den Übergangsbereich. In einer Vielzahl von Fällen kam es nicht mehr zu einer Belastung mit Solidaritätszuschlag.

Praxishinweis

Durch das Inflationsausgleichsgesetz wird die bisherige Nullzone erhöht. Diese Erhöhung wirkt sich auch auf den Übergangsbereich aus.

Ende der Nullzone bei Anwendung der…
ESt nach
Grundtabelle
ESt nach
Splittingtabelle
ab 1.1.2002      972 EUR   1.944 EUR
ab 1.1.2021 bis 31.12.2022 16.956 EUR 33.912 EUR
VZ 2023 17.543 EUR 35.086 EUR
VZ 2024 18.130 EUR 36.260 EUR

 

 

Praxishinweis

Diese Änderungen wirken sich ab 2023[19] bzw. ab 2024[20] auch im Lohnsteuer-Abzugsverfahren aus.[21]

Der SolZ wird auch bei kst-pflichtigen Personen erhoben. Da bei diesen Personen die Nullzone und der Übergangsbereich nicht zur Anwendung kommen, tritt insoweit keine Änderung ein.

SolZ wird als Ergänzungsabgabe auch zur pauschalen LSt erhoben. Die Nullzone und der Übergangsbereich kommen hierbei nicht zur Anwendung,[22] sodass insoweit keine Änderung eintritt.

Die Nullzone und der Übergangsbereich gelten nicht in Bezug auf Kapitalerträge, die der Abgeltungsteuer unterliegen.[23] Die drastische Ausweitung der Nullzone bei gleichzeitig unveränderter Erhebung des Solidaritätszuschlags ohne Nullzone bei der Abgeltungsteuer auf Kapitaleinkünfte kann dazu führen, dass die Abgeltungsteuer künftig steuerlich in noch mehr Fällen unattraktiver im Vergleich zur Veranlagung ist.[24]

[1] BT-Drs. 20/3496 v. 20.9.2022

[2] BT-Drs. 20/4378 v. 9.11.2022

[3] BR-Drs. 576/22 v. 11.11.2022

[4]  https://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Downloads/Steuern/14-existenzminimumbericht.pdf?__blob=publicationFile&v=9

[5] Siehe Programmablaufpläne für den Lohnsteuerabzug 2023: BMF-Schr. v. 18.11.2022 – IV C 5-S 2361/19/10008:006

[6] und im VZ 2022 die Steuerpflicht der Energiepreispauschale(n)

[7] § 33a Abs. 1 Satz 1 EStG

[8] § 33a Abs. 1 Satz 2 EStG

[9] § 33a Abs. 1 Satz 6 EStG

[10] BMF-Schr. v. 11.11.2020 – BStBl I 2020, 1212

[11] https://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Downloads/Steuern/5-progressionsbericht.pdf?__blob=publicationFile&v=7

[12] § 32 Abs. 6 EStG

[13] Verdoppelung insbesondere im Falle der Zusammenveranlagung

[14] § 52 Abs. 32 letzter Satz EStG

[15] § 66 EStG

[16] BGBl I 2019, 2115

[17] § 3 Abs. 3 SolZG

[18] § 4 S. 2 SolZG

[19] § 6 Abs. 23 SolZG

[20] § 6 Abs. 24 SolZG

[21] Vgl. § 3 Abs. 2a SolZG und § 3 Abs. 4 SolZG

[22] BFH-Urt. v. 1.3.2002 – VI R 171/98, BStBl II 2002, 440

[23] § 3 Abs. 3 S. 2 SolZG und § 4 S. 4 SolZG

[24] Broer, DB 2019, 2641