Krankheitskosten bei einem Wegeunfall zur ersten Tätigkeitsstätte
Erleidet ein Mandant auf dem Weg zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte einen Unfall, kann er die durch den Unfall verursachten Krankheitskosten als Werbungskosten abziehen. Solche Krankheitskosten werden nach Auffassung des BFH nicht von der Abgeltungswirkung der Entfernungspauschale erfasst.[1]
Im Streitfall erlitt die Klägerin durch einen Verkehrsunfall auf dem Weg von ihrer ersten Tätigkeitsstätte nach Hause erhebliche Verletzungen. Sie machte die hierdurch verursachten Krankheitskosten, soweit sie nicht von der Berufsgenossenschaft übernommen wurden, als Werbungskosten bei ihren Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit geltend. Finanzamt und FG[2] ließen den Werbungskostenabzug nicht zu.
Der BFH erkannte die unfallbedingten Krankheitskosten hingegen als Werbungskosten an. Zwar seien durch die Entfernungspauschale grundsätzlich sämtliche fahrzeug- und wegstreckenbezogene Aufwendungen abgegolten, die durch die Wege zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte veranlasst seien.
Dies gelte auch für Unfallkosten, soweit es sich um echte Wegekosten handele (z.B. Reparaturaufwendungen).
Andere Aufwendungen, insbesondere Aufwendungen in Zusammenhang mit der Beseitigung oder Linderung von Körperschäden, die durch einen Wegeunfall zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte eingetreten seien, würden von der Abgeltungswirkung dagegen nicht erfasst. Solche beruflich veranlassten Krankheitskosten könnten daher neben der Entfernungspauschale als Werbungskosten abgezogen werden.
Praxishinweis
Bei den Unfallkosten muss nach Auffassung des BFH zwischen echten Wegekosten und anderen Aufwendungen unterschieden werden.
Die „anderen“ Aufwendungen – wie z. B. im Urteilsfall die Eigenkosten für eine Nasenoperation nebst hiermit im Zusammenhang stehende Fahrtkosten von 2.402 EUR
– sind als allgemeine Werbungskosten abziehbar. Hierunter könnten auch andere durch den Unfall verursachte Folgeschäden, die keinen unmittelbaren Bezug zum Fahrzeug oder zur Wegstrecke aufweisen, fallen.[3] Durch den Vorrang der Werbungskosten vor den außergewöhnlichen Belastungen[4] entfällt der Abzug der zumutbaren Belastung. Der BFH hat in seiner aktuellen Entscheidung nochmals betont, dass die Fahrten zur ersten Tätigkeitsstätte beruflich veranlasst seien.
Hingegen sind die fahrzeug- und wegestreckenbezogenen Aufwendungen (z. B. Reparaturkosten) durch die Entfernungspauschale abgegolten.
Bedeutsam ist insoweit, dass die FinVerw. in dem letzten Punkt eine günstigere Auffassung vertritt.[5] Unfallkosten, die auf einer Fahrt zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte oder auf einer zu berücksichtigenden Familienheimfahrt entstehen, sind danach als außergewöhnliche Aufwendungen im Rahmen der allgemeinen Werbungskosten nach § 9 Absatz 1 Satz 1 EStG weiterhin neben der Entfernungspauschale zu berücksichtigen.[6]
Ob die FinVerw. ihre bisher großzügige Auffassung ändern wird, bleibt abzuwarten. Der BFH zumindest meint, dass sich dieser aus der Gesetzesbegründung ergebende Wille des Gesetzgebers auf Berücksichtigung von Unfallkosten keinen Niederschlag im Gesetzeswortlaut gefunden habe.
[1] BFH, Urt. v. 19.12.2019 – VI R 8/18, DStR 2020, 637
[2] FG Baden-Württemberg, Urt. v. 19.1.2018 – 5 K 500/17, EFG 2018, 1444 (nachfolgend BFH, Urt. v. 19.12.2019 – VI R 8/18, DStR 2020, 637)
[3] Kanzler, NWB 14/2020, 955 (z. B. Kosten der psychologischen Behandlung infolge des Unfalls bzw. unfallbedingte Massagekosten)
[4] § 33 Abs. 2 Satz 2 EStG
[5] BMF-Schr. v. 31.10.2013 – BStBl I 2013, 1376
[6] BT-Drs. 16/12099, 6