Grundsätzliches

Durch das JStG 2022 hat der Gesetzgeber in § 3 Nr. 72 EStG eine neue Steuerfreiheit eingeführt. Hiernach werden Einnahmen und Entnahmen im Zusammenhang mit bestimmten PV-Anlagen steuerfrei gestellt. Die Steuerfreistellung führt nicht zur Anwendung des Progressionsvorbehalts, da diese Einnahmen nicht in § 32b EStG genannt sind. Das BMF hat sich mit Schreiben vom 17.7.2023[1] zur Anwendung von § 3 Nr. 72 EStG geäußert.

Praxishinweis

Durch den vorliegenden (internen) Referentenentwurf eines Jahressteuergesetzes 2024 soll eine Änderung bei der objektbezogenen Begünstigungsermittlung eintreten. Der Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens bleibt abzuwarten.

 

Gesetzeswortlaut

Nach § 3 Nr. 72 EStG sind steuerfrei

„die Einnahmen und Entnahmen im Zusammenhang mit dem Betrieb

a) von auf, an oder in Einfamilienhäusern (einschließlich Nebengebäuden) oder nicht Wohnzwecken dienenden Gebäuden vorhandenen Photovoltaikanlagen mit einer installierten Bruttoleistung laut Marktstammdatenregister von bis zu 30 kW (peak) und

b) von auf, an oder in sonstigen Gebäuden vorhandenen Photovoltaikanlagen mit einer installierten Bruttoleistung laut Marktstammdatenregister von bis zu 15 kW (peak) je Wohn- oder Gewerbeeinheit,

insgesamt höchstens 100 kW (peak) pro Steuerpflichtigen oder Mitunternehmerschaft.

Werden Einkünfte nach § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 (EStG)[2] erzielt und sind die aus dieser Tätigkeit erzielten Einnahmen insgesamt steuerfrei nach Satz 1, ist kein Gewinn zu ermitteln.

In den Fällen des Satzes 2 ist § 15 Abs. 3 Nr. 1 (EStG)[3] nicht anzuwenden.“

 

Zeitliche Anwendung von § 3 Nr. 72 EStG und offene Frage

Nach § 52 Abs. 4 Satz 27 EStG ist diese Steuerbefreiung „für Einnahmen und Entnahmen anzuwenden, die nach dem 31.12.2021 erzielt oder getätigt werden.“

Die in § 3 Nr. 72 EStG verortete Befreiungsregelung ist auf Einnahmen und Entnahmen ab 2022 unabhängig vom Verlauf des Wirtschaftsjahres anzuwenden. Welchem Wirtschaftsjahr die Einnahmen oder Entnahmen zuzurechnen sind, richtet sich nach der Gewinnermittlungsart:

  • Im Falle der Bilanzierung hat eine wirtschaftliche Zuordnung zu erfolgen.
  • Im Falle einer Einnahme-Überschussrechnung gelten die Zu- und Abflussregelungen u. a. unter Berücksichtigung der 10-Tagesregelung.

 

Praxishinweis

Deckelung des Betriebsausgabenabzugsverbots auf die Höhe der steuerfreien Einnahmen?

Eine zeitliche Anwendungsregelung für den Betriebsausgabenabzug existiert nicht. Nach Auffassung der FinVerw. sind sämtliche Ausgaben, die im unmittelbaren wirtschaftlichen Zusammenhang mit dem Betrieb von nach § 3 Nr. 72 EStG begünstigten PV-Anlagen stehen, nach § 3c Abs. 1 EStG nicht abziehbar.[4] Strittig ist, ob diese Auffassung einer gerichtlichen Prüfung standhalten wird. Der BFH hat im Zusammenhang mit der Anwendung der Steuerfreiheit nach § 3 Nr. 26 EStG entschieden, dass die nicht abziehbaren Betriebsausgaben auf die Höhe der steuerfreien Einnahmen gedeckelt sind.[5] Vergleichbare Sachverhalte sollten im Hinblick auf zu erwartende Gerichtsverfahren offen gehalten werden.

Nachgelagerte Betriebsausgaben

Bei Einnahme-Überschussrechnungen stellt sich folgende Problematik: Werden in 2022 oder später Betriebsausgaben für die Jahre vor 2022 geleistet, dürften diese aufgrund des wirtschaftlichen Zusammenhangs mit noch steuerpflichtig erfassten Einnahmen weiterhin abziehbar sein (z. B. Zahlung der Steuerberaterkosten für die mit Gewinnerzielungsabsicht betriebene Photovoltaikanlage in 2023 für 2021 oder 2020).[6] Die FinVerw. verneint offensichtlich einen solchen Kostenabzug; Entscheidungen der Gerichte bleiben abzuwarten.

Ein erstes Verfahren zu dieser Frage ist dem Vernehmen nach beim FG Nürnberg unter dem Az. 4 K 1440/23 anhängig. Vergleichbare Sachverhalte sollten im Einspruchsverfahren offen gehalten werden; die FinVerw. gewährt offenbar das Ruhen des Verfahrens aus Billigkeitsgründen.[7]

 

Objektbezogene Prüfung

    • Geltende Rechtslage

Ob der Betrieb einer PV-Anlage steuerfrei ist, richtet sich zumindest bislang auch nach der Gebäudeart.

Blick ins Gesetz – § 3 Nr. 72 Satz 1 Buchst. a) und b) EStG

a) von auf, an oder in Einfamilienhäusern (einschließlich Nebengebäuden) oder nicht Wohnzwecken dienenden Gebäuden vorhandenen Photovoltaikanlagen mit einer installierten Bruttoleistung laut Marktstammdatenregister von bis zu
30 kW (peak) und

b) von auf, an oder in sonstigen Gebäuden vorhandenen Photovoltaikanlagen mit einer installierten Bruttoleistung laut Marktstammdatenregister von bis zu
15 kW (peak) je Wohn- oder Gewerbeeinheit,

 

 

  • Übersicht
Art des Gebäudes Maximale maßgebliche Leistung der Anlage(n) in kW (peak) je Steuerpflichtiger/Mitunternehmerschaft (gebäudebezogene Betrachtung)
Einfamilienhaus[8] 30,00 kWp
Wohnzwecken dienendes Zwei/Mehrfamilienhaus 15,00 kWp je Wohneinheit
Gemischt genutzte Immobilien 15,00 kWp je Wohn-/Gewerbeeinheit
Nicht Wohnzwecken dienende Gebäude
(z. B. Gewerbeimmobilien mit einer Einheit bzw. ein Garagengrundstück)
30,00 kWp
Gewerbeimmobilien mit mehreren Gewerbeeinheiten[9] 15,00 kWp je Gewerbeeinheit

Praxishinweis

Auf Gewerbeimmobilien mit mehreren Gewerbeeinheiten wird die Multiplikationsregelung des § 3 Nr. 72 Satz 1 Buchst. b) EStG – entgegen dem Gesetzeswortlaut – aus Billigkeitsgründen von der Finanzverwaltung angewandt.

  • Geplante Änderung durch das Jahressteuergesetz 2024

Nach dem Referentenentwurf des JStG 2024 soll sich die objektbezogene Prüfung in § 3 Nr. 72 Satz 1 EStG ändern.

§ 3 Nr. 72 Satz 1 EStG – Referentenentwurf eines Jahressteuergesetzes 2024

Steuerfrei sind

die Einnahmen und Entnahmen im Zusammenhang mit dem Betrieb

1von auf, an oder in Gebäuden (einschließlich Nebengebäuden) vorhandenen Photovoltaikanlagen, wenn die installierte Bruttoleistung laut Marktstammdatenregister bis zu 30 kW (peak) je Wohn- oder Gewerbeeinheit und insgesamt höchstens 100 kW (peak) pro Steuerpflichtigen oder Mitunternehmerschaft beträgt.

Praxishinweis

Die geänderte Regelung soll am Tag nach der Verkündung des Jahressteuergesetzes 2024 zur Anwendung kommen. Bei Verkündung in 2024 käme die Rechtsänderung ab dem VZ 2024 zur Anwendung.

Geplante Änderungen im Überblick:

  • Gebäude einschließlich Nebengebäude
    • bislang:Die Miterfassung der Nebengebäude ist nur bei EFH gesetzlich bestimmt.
    • neu:Die Miterfassung der Nebengebäude zum Hauptgebäude gilt für alle Gebäudearten.
  • Objektbezogene kWp-Grenze
    • bislang: Je nach Gebäudeart wird entweder eine starre 30 kWp-Grenze angewandt oder eine Vervielfältigungsregelung (15 kWp je Wohn- und Gewerbeeinheit) zugelassen.
    • neu:Unabhängig von der Gebäudeart sollen 30 kWp je Wohn- und Gewerbeeinheit des Gebäudes bei der objektbezogenen Prüfung heranzuziehen sein. Dies entspricht im Wesentlichen der bislang per BMF-Schreiben geregelten Auffassung der FinVerw.

 

§ 7g EStG und Steuerfreiheit gem. § 3 Nr. 72 EStG

Fraglich ist, ob die Steuerfreiheit gem. § 3 Nr. 72 EStG die Anwendung von § 7g EStG einschränkt. Nach Auffassung der FinVerw. scheidet die Inanspruchnahme von § 7g EStG und damit auch die Bildung eines Investitionsabzugsbetrags für nach dem 31.12.2021endende Wirtschaftsjahre aus, wenn für die Photovoltaikanlage kein steuerlicher Gewinn mehr zu ermitteln ist.[10]

Investitionsabzugsbeträge, die in vor dem 1.1.2022 endenden Wirtschaftsjahren in Anspruch genommen wurden und auf eine nach
§ 3 Nr. 72 EStG begünstigte Anlage übertragen werden sollen, sind auf die steuerfreie PV-Anlage nicht übertragbar und daher rückwirkend gewinnerhöhend aufzulösen.[11] Ob dieser einschränkenden Rechtsauslegung durch die höchstrichterliche Rechtsprechung gefolgt wird, bleibt abzuwarten.[12] Denn es bedarf nur im Jahr der Bildung des Investitionsabzugsbetrags einer Gewinnermittlung nach § 4 oder 5 EStG.[13] Im Wirtschaftsjahr der Anschaffung wird lediglich ein begünstigtes Wirtschaftsgut i.S.d. § 7g Abs. 1 Satz 1 EStG verlangt. Da die PV-Anlage als ausschließlich betrieblich genutzt gilt, dürfte kein Fall der rückwirkenden gewinnerhöhenden IAB-Auflösung vorliegen. Die außerbilanzielle Hinzurechnung bei Übertragung des IAB im Zeitpunkt der Anschaffung dürfte nicht von § 3 Nr. 72 EStG umfasst sein.[14] Auf der anderen Seite wird gefordert, dass die korrespondierende Minderung der Anschaffungskosten[15] gewinnmindert erfasst werden kann und ebenso nicht der Regelung von § 3 Nr. 72 EStG unterliegt. Im Ergebnis bleibt die Übertragung des IAB bei Anschaffung der Anlage steuerneutral und ein Steuereffekt tritt im Zeitpunkt der IAB-Bildung ein.

Praxishinweis

Das FG Nürnberg hat sich zwischenzeitlich der restriktiven Verwaltungsauffassung angeschlossen und eine rückwirkende gewinnerhöhende Auflösung des in 2021 gebildeten IAB vorgenommen, weil die im Entscheidungsfall in 2022 erworbene PV-Anlage ohne Gewinnerzielungsabsicht betrieben worden sei.[16]

Auch das FG Köln hat zugunsten der rückwirkenden Gewinnauflösung des IAB im Bildungsjahr entschieden, wobei die Entscheidung damit begründet wurde, dass eine Übertragung eines IAB auf eine PV-Anlage ohne Gewinnermittlung ausscheide.[17] Höchstrichterliche Entscheidungen bleiben gegenwärtig abzuwarten.

Anders verhält sich die Rechtslage im Übrigen, sofern die Photovoltaikanlage Teil eines anderen Betriebs ist. Dann ist § 7g EStG weiterhin anwendbar; § 3c EStG wendet die Finanzverwaltung nicht an.[18] Das Betreiben einer PV-Anlage in einem anderen Betrieb kann sich auch vor diesem Hintergrund als steuervorteilhaft erweisen.

 

 

[1] BMF-Schr. v. 17.7.2023 – BStBl I 2023, 1494 (Rz ohne Nennung eines BMF-Schr. beziehen sich auf dieses BMF-Schr. v. 17.7.2023, a.a.O.)

[2] Ergänzung des Verfassers

[3] Ergänzung des Verfassers

[4] LfSt Nds. v. 17.10.2023 – S 2240-St 222/St 221-2473/2022 unter 10.

[5] BFH-Urt.  v. 20.12.2017 – III R 23/15, BStBl II 2019, 469

[6] Seifert, NWB 2023, 2247

[7] § 363 Abs. 2 S. 1 AO

[8] Unabhängig davon, ob das Einfamilienhaus zu eigenen Wohnzwecken genutzt, unentgeltlich überlassen oder vermietet wird.

[9] Rz. 3

[10] § 3 Nr. 72 Satz 2 EStG; Rz. 19

[11] § 7g Abs. 3 EStG, Rz. 19

[12] Anhängiges Verfahren: Hessisches FG, Az. 9 K 1176/23

[13] § 7g Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 Buchst. a) EStG

[14] Rz. 25; so auch Perschon, AktStR 2023, 55 (63); Zinsen nach § 233a AO, die durch die Rückgängigmachung entstehen, dürften aus Billigkeitsgründen zu erlassen sein.

[15] § 7g Abs. 2 Satz 3 EStG

[16] FG Nürnberg, Beschl. v. 1.3.2024 – 5 V 1163/23

[17] FG Köln, Beschl. v. 14.3.2024 – 7 V 10/24, Beschwerde eingelegt, Az. des BFH: III B 24/24

[18] Rz. 25

 

 

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