Ob eine steuerfreie Arbeitgebererstattung nach reisekostenrechtlichen Grundsätzen zulässig ist oder nicht, entscheidet sich danach, ob am jeweiligen Einsatzort eine erste Tätigkeitsstätte unterhalten wird. Der Begriff der ersten Tätigkeitsstätte ist seit dem VZ 2014 in § 9 Abs. 4 EStG definiert.

 § 9 Abs. 4 S. 1 – 5 EStG

„(4) 1Erste Tätigkeitsstätte ist die ortsfeste betriebliche Einrichtung des Arbeitgebers, eines verbundenen Unternehmens (§ 15 des Aktiengesetzes) oder eines vom Arbeitgeber bestimmten Dritten, der der Arbeitnehmer dauerhaft zugeordnet ist. 2Die Zuordnung im Sinne des Satzes 1 wird durch die dienst- oder arbeitsrechtlichen Festlegungen sowie die diese ausfüllenden Absprachen und Weisungen bestimmt. 3Von einer dauerhaften Zuordnung ist insbesondere auszugehen, wenn der Arbeitnehmer unbefristet, für die Dauer des Dienstverhältnisses oder über einen Zeitraum von 48 Monaten hinaus an einer solchen Tätigkeitsstätte tätig werden soll. 4Fehlt eine solche dienst- oder arbeitsrechtliche Festlegung auf eine Tätigkeitsstätte oder ist sie nicht eindeutig, ist erste Tätigkeitsstätte die betriebliche Einrichtung, an der der Arbeitnehmer dauerhaft

  1. typischerweise arbeitstäglich tätig werden soll oder
  2. je Arbeitswoche zwei volle Arbeitstage oder mindestens ein Drittel seiner vereinbarten regelmäßigen Arbeitszeit tätig werden soll.

5Je Dienstverhältnis hat der Arbeitnehmer höchstens eine erste Tätigkeitsstätte.“

Wann liegt eine erste Tätigkeitsstätte vor? Der Gesetzgeber unterscheidet zwei Fälle:

  • Eine erste Tätigkeitsstätte liegt am Ort einer ortsfesten[1] betrieblichen Einrichtung vor, wenn der ArbN dieser dauerhaft zugeordnet ist.[2]
  • Selbst ohne ausdrückliche Zuordnungsentscheidung des ArbG liegt eine erste Tätigkeitsstätte vor, wenn der ArbN dauerhaft am Ort einer betrieblichen Einrichtung in gesetzlich bestimmtem Umfang tätig werden soll.[3]

 

Der Gesetzgeber bestimmt in § 9 Abs. 4 S. 5 EStG, dass es i.R.e. Dienstverhältnisses max. eine erste Tätigkeitsstätte geben kann. Mehrere Tätigkeitsstätten sind damit – anders als vormals bei der regelmäßigen Arbeitsstätte[4] – in einem Dienstverhältnis nicht denkbar.

Die Zuordnungsentscheidung muss zu einer ortsfesten betrieblichen Einrichtung getroffen sein. Wie aber ist die Zuordnungsentscheidung zu treffen?

Die Zuordnung zu einer solchen Einrichtung wird durch die dienst- oder arbeitsrechtlichen Festlegungen sowie die diese ausfüllenden Absprachen und Weisungen bestimmt. Die Absprachen oder Weisungen können schriftlich, aber auch mündlich erfolgen.[5] Das Steuerrecht knüpft an das Dienst- oder Arbeitsrecht an; einer gesonderten Zuweisung für einkommensteuerliche Zwecke bedarf es nicht.[6]

Praxishinweis

Entscheidend ist, ob der ArbN aus Sicht ex ante nach den arbeitsrechtlichen Festlegungen an einer ortsfesten betrieblichen Einrichtung des ArbG, eines verbundenen Unternehmens oder eines vom ArbG bestimmten Dritten tätig werden soll.[7]

Die arbeitsrechtliche Zuordnungsentscheidung des ArbG als solche muss für ihre steuerliche Wirksamkeit nicht dokumentiert werden.[8] Die Feststellung, ob eine Zuordnung vorliegt, erweist sich oftmals als schwierig. Nach Auffassung der Rechtsprechung müssen unter Berücksichtigung sämtlicher Beweismittel[9] alle Umstände des jeweiligen Einzelfalls gewürdigt werden.

Praxishinweis

Nach Auffassung des BFH entspricht es regelmäßig der Lebenswirklichkeit, dass ein ArbN der betrieblichen Einrichtung des ArbG zumindest konkludent zugeordnet ist, in der er tatsächlich tätig ist oder tätig werden soll.[10]Diese Regelvermutung kennt aber Grenzen, wie der BFH in einer aktuellen Entscheidung v. 14.9.2023 betont.[11]

Die reine Nennung eines Einstellungsorts im Arbeitsvertrag ist nach Auffassung des BFH nicht zwingend eine steuerliche Zuordnungsentscheidung und löst damit nicht zwingend eine Tätigkeitsstätte i.S.d. § 9 Abs. 4 S. 1 EStG aus.[12]

Im Entscheidungsfall ging der BFH bei einem angestellten Bauleiter auch aufgrund von Zeugenaussagen davon aus, dass das international tätige Unternehmen den genannten Einstellungsort dahingehend versteht, dass der ArbN im Bereich der als Einstellungsort genannten Niederlassung tätig werden sollte. Einer ausdrücklichen Zuordnung zu einer bestimmten ortsfesten Einrichtung sei damit nicht verbunden. Da er gleichwohl den Einstellungsort regelmäßig, aber immer nur kurzfristig, aufsuchte, stellte sich die Frage, ob eine konkludente Zuordnungsentscheidung (Zuordnungsfiktion) vorliegt. Diese hat der BFH im Entscheidungsfall verneint.

Praxishinweis

Im Entscheidungsfall suchte der angestellte Bauleiter den im Arbeitsvertrag genannten Einstellungsort gelegentlich auf, um dort anfallende Büroarbeiten zu erledigen oder an Besprechungen teilzunehmen. Aus diesem gelegentlichen Aufsuchen[13] resultiert nach Auffassung des BFH keine (konkludente) Zuordnung. Zwar werden an der betrieblichen Einrichtung einzelne, zu dem Berufsbild gehörende Tätigkeiten erbracht oder sollen erbracht werden. Da im Entscheidungsfall aber nur gelegentlich die betriebliche Einrichtung aufgesucht wird oder aufgesucht werden soll, ist nicht von einer stillschweigenden Zuordnung nach
§ 9 Abs. 4 S. 1 und 2 EStG auszugehen (keine Anwendung der Zuordnungsfiktion).

Für das Vorliegen einer ersten Tätigkeitsstätte müssen die (zeitlichen) Kriterien nach § 9 Abs. 4 S. 4 EStG erfüllt sein.

Diese aktuelle BFH-Entscheidung verdeutlicht, dass bei der Lohnsteuer im jeweiligen Einzelfall intensiv das Vorliegen einer steuerlich wirksamen Zuordnungsentscheidung zu prüfen ist. Ohne Zuordnungsentscheidung dürfte ein vorwiegend im Außendienst tätiger ArbN oder ein Mitarbeiter, der an verschiedenen betrieblichen Einsatzstellen tätig wird oder werden soll, nur dann eine erste Tätigkeitsstätte am Betriebssitz unterhalten, wenn die zeitlichen Voraussetzungen des § 9 Abs. 4 S. 4 EStG erfüllt werden.

Die Auswirkungen aus dieser vermeintlich rechtstheoretischen Diskussion sind weitreichend:

  • Ohne erste Tätigkeitsstätte am Betriebssitz ist die Abwesenheitsdauer für die Berechnung der Tagegelder ab Verlassen der Wohnung bis Rückkehr zur Wohnung zu ermitteln.
  • Die Fahrtkosten sind i.d.R. nach Reisekostengrundsätzen[14] abzurechnen, sodass im Falle der Dienstwagennutzung auch kein geldwerte Vorteil nach der 0,03 % bzw. 0,002 %-Regelung für die Fahrt zum Betriebssitz zu erfassen ist.

Praxishinweis

Im Entscheidungsfall begehrte der Kläger erfolgreich durch die Verneinung einer ersten Tätigkeitsstätte am Einstellungsort eine Reduzierung des vom ArbG im Lohnsteuerabzugsverfahrens erfassten geldwerten Vorteils für die Dienstwagennutzung zur vermeintlichen ersten Tätigkeitsstätte.[15] In der Lohnabrechnung sollte dieser Frage vor einer Minderung des geldwerten Vorteils über die Veranlagung nachgegangen werden; auch um eine eventuelle Sozialversicherung- und Umsatzsteuerpflicht der vermeintlichen geldwerten Vorteile zu verhindern.

[1] Siehe hierzu weitergehend Seifert, NWB 2014, 3448

[2] § 9 Abs. 4 S. 1 EStG

[3] § 9 Abs. 4 S. 4 EStG

[4] Vgl. Seifert, StuB 2013, 256

[5] BFH-Urt. v. 14.9.2023 – VI R 27/21, DStR 2023, 2555, Rz 21

[6] BFH-Urt. v. 11.4.2019 – VI R 40/16, BStBl II 2019, 546, Rz 23, 35

[7] BFH-Urt. v. 14.9.2023 – VI R 27/21, DStR 2023, 2555, Rz 21

[8] BFH-Urt. v. 14.9.2023 – VI R 27/21, DStR 2023, 2555, Rz 22

[9] Bspw. auch Zeugenaussagen von Vorgesetzten

[10] BFH-Urt. v. 10.4.2019 – VI R 6/17, BStBl II 2019, 539, Rz 20

[11] BFH-Urt. v. 14.9.2023 – VI R 27/21, DStR 2023, 2555

[12] BFH-Urt. v. 14.9.2023 – VI R 27/21, DStR 2023, 2555

[13] BFH-Urt. v. 14.9.2023 – VI R 27/21, DStR 2023, 2555, Rz 35: z.B. 2-3 berufliche Besprechungen in der Woche

[14] Ausnahmen: Fahrten zu einem Sammelpunkt bzw. zu einem weiträumigen Tätigkeitsgebiet

[15] Geserich, NWB ZAAAJ-51872