Fahrten zu einer ersten Betriebsstätte und wöchentliche Familienheimfahrten sind nur in Höhe der Entfernungspauschale als Betriebsausgaben abziehbar.[1] Bei Reisekostenfahrten besteht dagegen ein unbeschränkter Betriebsausgabenabzug. Das FG Rheinland-Pfalz[2] hat das Vorliegen einer ersten Betriebsstätte in der ab 2014 geltenden Rechtslage bejaht, sofern ein Gewinneinkünfteerzieler aufgrund von zeitlich befristeten Einzelaufträgen „fortdauernd“ bei einem Kunden tätig wird. Der Begriff „fortdauernd“ wird von der Rechtsprechung nicht mit dem Begriff der Dauerhaftigkeit in § 9 Abs. 4 Satz 3 EStG gleichgestellt. Erhebliche Einschränkungen des Betriebsausgabenabzugs ergeben sich durch diese Rechtsprechung gerade für Honorarkräfte oder Freelancer. Die abschließende Entscheidung des BFH in dem anhängigen Revisionsverfahren bleibt abzuwarten.

 

Grundsätzliches

Als Betriebsausgaben können die Aufwendungen für die Wege zwischen Wohnung und (erster) Betriebsstätte und für Familienheimfahrten nur in der Höhe als Betriebsausgaben geltend gemacht werden, wie Arbeitnehmern ein Werbungskostenabzug nach den Grundsätzen der Entfernungspauschale zusteht.[3]

Praxishinweis

Diese Abzugseinschränkung gilt für Fahrten zu einer ersten Tätigkeitsstätte und diesen gleichgestellten Fahrten[4] sowie für wöchentliche Familienheimfahrten im Rahmen einer betrieblich begründeten doppelten Haushaltsführung. Diese Abzugseinschränkung gilt nicht, falls sich die jeweilige Fahrt als Reisekostenfahrt darstellt.

Der Gesetzgeber bestimmt seit 2014 bei den Arbeitnehmereinkünften in
§ 9 Abs. 4 EStG, in welchen Fällen von einer ersten Tätigkeitsstätte auszugehen ist. Für Gewinneinkünfte existiert eine solche gesetzliche Definition nicht, wenngleich dies zur Vermeidung von Rechtsstreitigkeiten nötig gewesen wäre.[5]

Praxishinweis

Die Finanzverwaltung schließt die Gesetzeslücke dadurch, dass als Betriebsstätte die von der Wohnung getrennte dauerhafte Tätigkeitsstätte zu verstehen ist.[6]

Beispiel

Der Freiberufler M wohnt in A und betreibt in B eine Praxis, die er arbeitstäglich z. B. während der Öffnungszeiten aufsucht.

Bei den Fahrten von der Wohnung zur Praxis handelt es sich um Fahrten zwischen Wohnung und erster Betriebsstätte; die Aufwendungen sind nur in Höhe der Entfernungspauschale als Betriebsausgaben abziehbar.

Praxishinweis

Im Rahmen einer Gewinneinkünftetätigkeit kann nach Auffassung der Finanzverwaltung nur eine erste Betriebsstätte unterhalten werden.[7]

Übt der Gewinneinkünfteerzieler seine betriebliche Tätigkeit an mehreren Betriebsstättenaus, ist die erste Betriebsstätte anhand quantitativer Merkmale zu bestimmen. Analog zu § 9 Abs. 4 Satz 4 EStG ist danach erste Betriebsstätte die Tätigkeitsstätte, an der der Steuerpflichtige dauerhaft typischerweise (im Sinne eines Vergleichs mit einem Arbeitnehmer) arbeitstäglich oder je Woche an zwei vollen Arbeitstagen oder mindestens zu einem Drittel seiner regelmäßigen Arbeitszeit tätig werden will.

Praxishinweis

Treffen diese Kriterien auf mehrere Tätigkeitsstätten zu, ist die der Wohnung des Steuerpflichtigen näher gelegene Tätigkeitsstätte erste Betriebsstätte (entsprechend § 9 Abs. 4 Satz 7 EStG). Die Fahrten zu weiter entfernt liegenden Tätigkeitsstätten sind als Auswärtstätigkeiten zu beurteilen.

Eine erste Betriebsstätte kann nach Auffassung der Finanzverwaltung auch bei einem Auftraggeber (Kunden) oder einem vom Auftraggeber bestimmten Dritten liegen, sofern die Tätigkeit dort dauerhaft erbracht werden soll.[8]

Praxishinweis

Eine Dauerhaftigkeit liegt in entsprechender Anwendung von § 9 Abs. 4 Satz 3 EStG vor, wenn die steuerlich erhebliche Tätigkeit an einer Tätigkeitsstätte unbefristet, für eine Dauer von voraussichtlich mehr als 48 Monaten oder für die gesamte Dauer der betrieblichen Tätigkeit ausgeübt werden soll(Prognoseentscheidung).[9]

 

Zu klärende Frage

Das FG Rheinland-Pfalz hatte die Frage zu klären, ob die Auslegung des Begriffs der „Betriebsstätte“ nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 EStG unter Rückgriff auf den Begriff der „ersten Tätigkeitsstätte“ erfolgen kann.

 

Sachverhalt

Der zu entscheidende Sachverhalt verhielt sich wie folgt:

  • Der geschiedene Kläger erzielte in den Streitjahren 2016 bis 2018 Einkünfte aus selbständiger Arbeit durch die Erbringung von Beratungsleistungen auf dem Gebiet der Informationstechnologie.
  • Den Gewinn ermittelte er als Überschuss der Betriebseinnahmen über die Betriebsausgaben nach § 4 Abs. 3 EStG.
  • Im gesamten Streitzeitraum war der Kläger in K wohnhaft.
  • Ab dem 29. März 2016 mietete er zudem in H eine möblierte Wohnung an.
  • Im Rahmen einer Betriebsprüfung stellte das Finanzamt fest, dass der Kläger im Prüfungszeitraum einzig für die Firma T in H an deren Sitz als Berater tätig war.
  • Dort übte er seine Tätigkeit an vier Tagen pro Woche aus.
  • Ausweislich des zwischen dem Kläger und A geschlossenen projektbezogenen Berater-Vertrages begann seine Tätigkeit bei dem Kunden von A (Kunde T) am 14. März 2016 und endete am 30. Juni 2016.
  • In den vertraglichen Vereinbarungen hieß es, dass A und T sowie deren Mitarbeiter kein Weisungs- oder Direktionsrecht gegenüber dem Berater – weder fachlich noch disziplinarisch – ausübt Der Berater war in der Einteilung der Arbeitszeit und der Art der Durchführung des Vertrages im Rahmen des Vertrages frei. Soweit es zur Erfüllung des Projektauftrags zwingend erforderlich war, konnte der Berater auch in den Geschäftsräumen des Kunden tätig werden.
  • Durch in der Folgezeit im Voraus getroffene Verlängerungsvereinbarungen wurde das Vertragsverhältnis im Jahr 2016 jeweils um zwei weitere Monate verlängert. Im Jahr 2017 wurden zwei weitere Verlängerungsvereinbarungen für vier bzw. acht Monate getroffen. Im Jahr 2018 wurde das Vertragsverhältnis für die Dauer eines Jahres bis zum 31. Dezember 2018 verlängert.

Die Finanzverwaltung vertrat im Rahmen einer Außenprüfung u. a. die Auffassung, dass die Aufwendungen für die Wege vom Ort der Tätigkeitsstätte zum Ort des eigenen Hausstandes und zurück jeweils nur für eine wöchentliche Familienheimfahrt als Betriebsausgaben mit der Entfernungspauschale geltend gemacht werden dürften. Die Entfernungspauschale gelte ferner auch für die Fahrten zur Tätigkeitsstätte bei T.

 

Entscheidung des FG Rheinland-Pfalz

Nach Auffassung des FG Rheinland-Pfalz[10] ist die Klage im Wesentlichen aus folgenden Gründen unbegründet:

  • Vor Änderung des steuerlichen Reisekostenrechts war als Betriebsstätte der Ort zu verstehen, an dem der Gewinneinkünfteerzieler seine Leistung zu erbringen hatte.[11]
  • Die vor Ergehen der Reform des steuerlichen Reisekostenrechts ergangene BFH-Rechtsprechung soll über das Jahr 2013 hinaus weiterhin für die Begriffsbestimmung der „Betriebsstätte“ maßgeblich sein. Dies wird mit dem fehlenden Verweis auf die lohnsteuerlichen Regelungen begründet.
  • Eine die Betriebsstätte fortdauernde Tätigkeit liegt dann vor, wenn sich der Gewinneinkünfteerzieler auf die Tätigkeitsstätte einstellen kann. Dies setzt keine vertragliche Mindestlaufzeit des jeweiligen Vertrags voraus.
  • Selbst wenn die jeweiligen Einsatzverträge jeweils nur mehrere Monate abgeschlossen sind, kann bei Gewinneinkünfteerzielern von einer ersten Betriebsstätte wegen dem fortdauernden Einsatz ausgegangen werden. Das Kriterium der „Dauerhaftigkeit“ nach § 9 Abs. 4 Satz 3 EStG muss hierfür nicht erfüllt werden.

 

Ergänzende Hinweise für Praktiker

Wird ein Gewerbetreibender an einer ortsfesten betrieblichen Einrichtung seines Auftraggebers oder bei dem vom Auftraggeber bestimmten Dritten „fortdauernd“ tätig, so liegt nach Auffassung des BFH bis zum Jahr 2013 dort eine Betriebsstätte i.S.d. § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 EStG.[12] Das ungeschriebene Erfordernis eines nachhaltigen und fortdauernden Aufsuchens der Betriebsstätte setzt zumindest bis 2013 keine vertragliche Mindestlaufzeit voraus.[13]

Der BFH neigt im Ergebnis dazu, den Begriff „fortdauernd“ nicht mit dem Begriff „dauerhaft“ in § 9 Abs. 4 Satz 3 EStG gleichzustellen.[14]

Dieser restriktiven Rechtsprechung schließt sich das FG Rheinland-Pfalz[15] in der Rezensionsentscheidung an und wendet die zur Rechtslage vor 2014 ergangene BFH-Rechtsprechung auch ab 2014, dem Jahr der erstmaligen Geltung des geänderten steuerlichen Reisekostenrechts[16], an.

Aufgrund des BMF-Schreibens vom 23. Dezember 2014[17] dürfte die Finanzverwaltung an die bisherige günstigere Rechtsauslegung gebunden sein. Durch die amtliche Veröffentlichung der BFH-Entscheidung v. 16. Dezember 2022[18] ändert sich hierdurch nichts, weil das Urteil die Rechtslage vor 2014 behandelt. Hierauf sollte im jeweils vor Ort diskutierten Einzelfall hingewiesen werden.

 

 

[1] § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 EStG

[2] FG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 19.6.2024 – 1 K 1219/21, Rev. eingelegt, Az. des BFH: VIII R 15/24

[3] Vgl. § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 EStG

[4] Fahrten zu einem Sammelpunkt bzw. zu einem weiträumigen Tätigkeitsgebiet: siehe
BMF-Schr. v. 23.12.2014 – BStBl I 2015, 26 Rz. 7

[5] Seifert, StuB 2015, 294

[6] BMF-Schr. v. 23.12.2014 – BStBl I 2015, 26

[7] BMF-Schr. v. 23.12.2014 – BStBl I 2015, 26 Rz. 5

[8] BMF-Schr. v. 23.12.2014 – BStBl I 2015, 26 Rz. 1

[9] BMF-Schr. v. 23.12.2014 – BStBl I 2015, 26 Rz. 2

[10] FG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 19.6.2024 – 1 K 1219/21, Rev. eingelegt, Az. des BFH: VIII R 15/24,
Rz. 19 m.w.N.

[11] FG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 19.6.2024 – 1 K 1219/21, Rev. eingelegt, Az. des BFH: VIII R 15/24,
Rz. 19 m.w.N.

[12] BFH, Urt. v. 16.2.2022 – X R 14/19, BStBl II 2022, 805

[13] BFH, Urt. v. 16.2.2022 – X R 14/19, BStBl II 2022, 805; siehe auch FG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 26.1.2021 – 3 K 2195/18, EFG 2021, 953 rkr. (Honorararzt und Krankenhauseinsätze)

[14] Wick, DStR 2022, 1474

[15] FG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 19.6.2024 – 1 K 1219/21, Rev. eingelegt, Az. des BFH: VIII R 15/24

[16] Siehe Gesetz zur Änderung und Vereinfachung der Unternehmensbesteuerung und des steuerlichen Reisekostenrechts v. 20.2.2013 – BGBl I 2013, 285

[17] BMF-Schr. v. 23.12.2014, BStBl I 2015, 26

[18] BFH, Urt. v. 16.2.2022 – X R 14/19, BStBl II 2022, 805